Im Gegensatz zu den ländlichen KESB ist jene in der Stadt Zürich schon lange als professionelle Behörde organisiert – nicht erst seitdem das revidierte Kindes- und Erwachsenenschutzrecht 2013 in Kraft getreten ist. Deshalb seien auch die Zahlen der vergangenen Jahre vergleichbar und Aussagen über die Entwicklung möglich, sagt Michael Allgäuer, Präsident der KESB der Stadt Zürich. «Bei den angeordneten Kindesschutzmassnahmen gibt es seit 2005 einen leichten Rückgang.»
Auch bei den Erwachsenen habe das neue Recht nicht zu mehr Massnahmen geführt. Die städtische Behörde erhielt in den letzten fünf Jahren im Durchschnitt jährlich rund 3'300 Gefährdungsmeldungen. Bei einem Drittel davon wurde eine Massnahme – meist eine Beistandschaft – notwendig.
«Das Bild, jede Meldung führe zu einer Massnahme, ist falsch», sagt Allgäuer. In jedem Fall klärt die KESB aber ab, ob jemand konkret gefährdet ist. In den häufigsten Fällen ist es die Polizei, die sich bei der KESB meldet. Besonders gut hingeschaut wird dabei, wenn Kinder im Spiel sind.
Kindeswohl – schwer zu definieren
Doch wann ist das Kindeswohl gefährdet? Im Gesetz gibt es dafür keine Definition, wie Allgäuer sagt. Ein Dach über dem Kopf, genügend zu essen, der Schutz vor körperlicher Gewalt, aber auch eine liebevolle Zuwendung sind etwa nötig, damit sich ein Kind gut entwickeln kann.
Nicht immer sind Schläge oder Missbrauch das Problem. Es gebe Kinder, denen konsequent jegliche Anerkennung verweigert werde, sagt der KESB-Präsident. Es brauche in jedem Einzelfall eine individuelle Prüfung. Manche Kinder könnten besser mit Druck umgehen, andere weniger.
Es gibt nicht eine richtige oder falsche Erziehung.
«Es gibt nicht eine richtige oder eine falsche Erziehung», sagt Allgäuer. Die KESB müsse herausfinden, was einem Kind aufgrund seiner Fähigkeiten und Eigenschaften in der konkreten Situation am meisten diene. Meist seien die Eltern einfach überfordert.
Aktuelles Beispiel aus der Praxis
Ein Beispiel zeigt, dass eine Fremdplatzierung nicht immer die beste Lösung ist. Ein alkoholabhängiger Vater hatte seine Ehefrau wiederholt geschlagen. Für die Kinder wurde deshalb eine Beistandschaft eingerichtet. Die Mutter versprach, den Mann zu verlassen. Nachdem dies aber nicht geschah, entschied der Beistand, die Kinder zu ihrem eigenen Schutz fremdplatzieren zu lassen. Der zugezogene Verfahrensbeistand – er hatte die Interessen der Kinder zu vertreten – erachtete eine Wegnahme der Kinder von der Mutter aber als zu grossen Einschnitt. Deshalb beantragte er die Wegweisung des Vaters.
Der Fall Flaach
Fremdplatzierung verhindert
Man habe mit viel Hartnäckigkeit eine Fremdplatzierung verhindern können, sagt die für den Fall zuständige KESB-Verantwortliche Käthi Dellenbach. Nicht immer seien die naheliegenden Lösungen die besten. «Mit dem Fall Flaach haben wir erfahren, was geschehen kann, wenn es zu einer Hetze kommt», sagt Dellenbach.
Dass eine Mutter im Dezember 2015 in Flaach ihre beiden Kinder tötete, nachdem die KESB diese vorübergehend in einem Heim platziert hatte, führte damals zu einem Shitstorm gegen die Behörde. «Für uns ist das eine zusätzliche Belastung bei der Arbeit», sagt Dellenbach.