«Ich schaue zum Fenster hinaus und sehe dunklen Nebel. Eigentlich müsste man die Lichter der Strassen und der Häuser sehen. Ich frage mich, ob wir noch in den Wolken sind? Aber nein, das kann nicht sein, zwei Minuten vor der Landung. In diesem Moment knallt es.»
Erinnerung an jedes Detail
20 Jahre ist es her, seit die heutige SP-Politikerin und Nationalrätin Jacqueline Badran als Passagierin in einem Crossair-Flugzeug in Bassersdorf ZH abgestürzt ist. Wir treffen die 60-jährige Zürcherin im Hinterhof des Medienzentrums in Bern, direkt hinter dem Bundeshaus. Sie zündet sich eine Zigarette an.
Das kann man nicht vergessen.
Lange war nicht klar, ob das Interview zustande kommt. Mag Jacqueline Badran überhaupt nochmals von diesem traumatischen Erlebnis erzählen? Ja, sie mag. Videos und Bilder von ihr gibt es an diesem Termin aber nicht. Das akzeptieren wir. Und es wird eines der eindrücklichsten Gespräche, das wir bisher erlebten. Noch nie erzählte Badran ihre Geschichte den Medien so ausführlich. Sie erinnert sich an jedes Detail.
«Zwei Wochen zuvor feierte ich den Vierzigsten. Ich finde Geburtstagsreden zwar grässlich, aber damals hielt ich eine. Weil ich nie gedacht hätte, überhaupt 40 zu werden, bei dem Lebensstil, den ich führte. Das war wie eine tiefe Gewissheit bei mir. Für mich fühlte es sich an, als hätte ich ein zweites Leben geschenkt gekriegt und ich musste mir überlegen, was ich jetzt damit anstelle.» Sie ahnt damals natürlich noch nicht, dass sie kurz darauf einen Flugzeugabsturz überleben wird.
«Wir wechselten spontan noch die Sitzreihe»
Jacqueline Badran nimmt am Abend des 24. 11. 2001 mit ihrem Geschäftspartner einen Flug von Berlin nach Zürich. Die Maschine ist nicht voll. An Bord sind auch die bekannte US-Sängerin Melanie Thornton und die Girlgroup «Passion Fruit», welche für Konzerte in die Schweiz reisen. «Die jungen Frauen waren ziemlich aufgekratzt. Das störte uns nicht, aber wir waren todmüde und entschieden uns spontan, die Sitzreihe zu wechseln und sassen in den hinteren Teil des Flugzeugs», erinnert sich Badran.
Zwei Minuten vor der Landung beginnt die Maschine zu schütteln, es knallt. Vor Jacqueline Badran geht eine Feuerwand hoch: «Ich war überzeugt, dass das jetzt mein Tod ist. Zuerst wünschte ich mir, einfach zu explodieren und nicht langsam zu verbrennen. Dann dachte ich noch, dass es kein guter Zeitpunkt ist, weil ich doch mein Geschäft jetzt nicht allein lassen kann. Doch dann hörte das Schütteln auf und ich merkte, dass das Ganze eine andere Wende nimmt.»
Badran kann sich mit ihrem Geschäftspartner aus dem brennenden Flugzeugwrack retten. Die Maschine war in einem Waldstück in Bassersdorf ZH abgestürzt. Sie sieht eine Frau, deren Mantel lichterloh brennt. Eine Flugbegleiterin, die zitternd und nur in Strümpfen auf dem verschneiten Waldboden steht. «Ich sagte ihr: Hey, du lebst, du lebst!»
Selbst unfähig, rationale Gedanken zu fassen, landet Jacqueline Badran irgendwann in einer Beiz in der Nähe, wo auf die Schnelle Sanitätszelte aufgebaut wurden. Erst jetzt bemerkt sie, dass sie verletzt ist. Ihre Hand ist verdreht, sie hat ein Loch im Bein. Schmerzen spürt sie keine.
Ich bestellte dann mal einen Zwetschgenlutz. Das habe ich schon mal getrunken, als ich in eine Lawine gekommen bin. Da dachte ich, das sei jetzt angemessen.
Wenn sie vom Absturz erzählt, von bizarren Situationen mit Rettungskräften, die teils selbst überfordert waren, muss sie ab und zu beinahe lachen, wirkt auf uns gefasst. Doch plötzlich kommen ihr die Tränen, als sie von der Zeit danach erzählt.
«Die Angehörigen wollten hören, dass ihre Liebsten nicht leiden mussten»
Sie stellte sich zur Verfügung, um die Fragen von Angehörigen derjenigen zu beantworten, die beim Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sind. 24 von 33 Insassen kamen zu Tode. «Ich hatte das Gefühl, ich sei es ihnen schuldig. Sie hatten das Bedürfnis zu hören, dass ihre Liebsten nicht lange leiden mussten. Das konnte ich ihnen bestätigen.» Jacqueline Badran hört auch ihnen zu. Aus anonymen Passagierinnen und Passagieren werden Menschen mit Geschichten. Geschichten, die auch uns beim Zuhören nicht kalt lassen. «Ein Kind war bei diesen Treffen, das beide Eltern verloren hatte. Es blieb bei der Grossmutter, weil es an eine Harry-Potter-Party wollte. Die Eltern flogen allein.»
Jacqueline Badran, die Überlebende. Nach dem Absturz wird sie von Medienanfragen überflutet, das Telefon klingelt ununterbrochen. Sogar auf einer Clubtoilette wird sie darauf angesprochen: «Und plötzlich erzählte ich alles einer wildfremden Frau auf dieser Toilette. Es musste einfach raus.»
Bis heute hält sie Kontakt zu Rettungskräften
Was bleibt, 20 Jahre danach? Es gehöre zur Lebensgeschichte, sagt Badran. Wenn sie Leute sehe, die sich die Hände wärmen würden über einem Feuer, triggere sie das bis heute. Dann kommen die Bilder von brennenden Menschen wieder hoch, die sie am 24. 11. 2001 sehen musste. Bis heute hält Jacqueline Badran den Kontakt zu Rettungskräften. Sie trafen sich bis anhin jährlich in der Wirtschaft, wo sie damals den Zwetschgenlutz bestellt hatte. Zumindest, bis sie kürzlich abgerissen wurde.
Einen Flugzeugabsturz überlebt. Beim Amoklauf in Zug unter einem Pult versteckt. Die Terroranschläge in New York fotografiert. Beim Grounding der Swissair hunderte Personen entlassen und selbst den Job verloren. Menschen, die den Katastrophenherbst miterlebt haben, blicken zurück. Für sie waren es Wendepunkte. Die Ereignisse haben sich in ihre Biografien und das Gedächtnis der Schweiz eingebrannt.
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