Die Antibaby-Pille revolutionierte die Gesellschaft. Erstmals hatten die Frauen ein zuverlässiges Verhütungsmittel. Sex und Kinderkriegen wurden damit entkoppelt.
Für die Frauen war dies ein grosser Fortschritt, in konservativen Kreisen jedoch heftig umstritten. Und der damalige Papst, Paul VI., sah diese Entkoppelung gar als Gefahr und verbot die Pille kurzerhand.
Sex nur zur Fortpflanzung
In seiner Lehrschrift «humanae vitae» schrieb der Papst 1968, dass es beim Sex – der nur innerhalb einer heterosexuellen Ehe stattfinden durfte – immer die Möglichkeit geben müsse, dass Kinder entstehen. Nicht nur die Pille war also verboten, sondern Verhütung ganz allgemein.
Mit dieser Meinung war der Papst allerdings innerhalb der römisch-katholischen Kirche in der Minderheit. Eine Kommission und die Mehrheit der Bischöfe wären offen gewesen für Veränderungen.
Es war der Anfang eines Bedeutungsverlusts von kirchlichen Verlautbarungen in gesellschaftspolitischen Fragen.
Der Entscheid, die Pille zu verbieten, hatte für die römisch-katholische Kirche Konsequenzen. Sie hatte sich ins Abseits manövriert. Denn die meisten Schweizer Katholikinnen und Katholiken wollten vom Verhütungsverbot nichts wissen.
Das zeigte eine Umfrage im Bistum Chur. «Die römisch-katholische Kirche verlor die Deutungshoheit in Sachen Sexualmoral», sagt Kirchenhistoriker Martin Tschirren. «Es war der Anfang eines Bedeutungsverlusts von kirchlichen Verlautbarungen in gesellschaftspolitischen Fragen.»
Die Moralvorstellungen des Vatikans zielten an der Lebensrealität der Schweizer Katholikinnen und Katholiken vorbei und wurden so irrelevant. Ein Trend, der sich in anderen Bereichen bis in die Gegenwart fortsetzt, etwa beim Umgang mit der LGBTIQ-Gemeinschaft oder der Frage, wieviel Verantwortung die Frauen in der römisch-katholischen Kirche übernehmen können.
Ein Ja zur Pille bei den Reformierten...
Einen lockereren Umgang mit der Pille pflegte die evangelisch-reformierte Kirche. Ein Pillen- oder Verhütungsverbot kennt sie nicht. Das hat mit den Strukturen zu tun, die von unten nach oben funktionieren. Und weil das Kirchenvolk die Pille wollte, gab es bei den Reformierten auch kein Problem.
...und im Islam und dem Judentum
Unproblematisch war die Pille auch in der muslimischen Welt. Denn Verhütung war im Islam nie verboten. «Bereits in der Sunna, der Überlieferung des Lebens von Mohammed, ist vom coitus interruptus die Rede», erklärt Islamwissenschaftler Ali Ghandour, der vor kurzem ein Buch geschrieben hat über den Umgang mit Sex im Islam.
Die Verhütung ist im Islam erlaubt. Deshalb gab es auch kaum Diskussionen wegen der Pille.
Auch im Islam – und im Judentum – dient der Sex dem Kinderkriegen. Die jüdische und muslimische Gemeinschaft soll schliesslich wachsen. Doch darüber hinaus soll Sex auch Spass machen. So beschreibt Ali Ghandour in seinem Buch islamische Gelehrte, die ganze Abhandlungen darüber schreiben, wie Männer ihre Frauen befriedigen sollen.
Allerdings führte die Pille in der islamischen Welt nicht zur selben sexuellen Revolution wie im Westen. Denn diese sexuelle Revolution hatte in den USA und in Europa bereits vor der Pille begonnen – die Pille war dann sozusagen der Katalysator.
Willkommen war die Pille dennoch. Bei den Jüdinnen besonders, denn in traditionelleren Kreisen ist dort das Kondom verboten. In der Thora heisst es nämlich über die Eheleute: «Sie sollen werden ein Fleisch» – und da stört ein Kondom natürlich.