Von der weiblichen Lust über diverse Sexpraktiken bis hin zu Aphrodisiaka und erotischen Gedichten: In Ali Ghandours Buch «Liebe, Sex und Allah» findet man allerlei, das nicht so recht zu unserer heutigen Vorstellung von Sexualität in der muslimischen Welt passen will.
Der Autor hat eine Mission. Er will zeigen, wie liberal die muslimische Welt einst mit der Lust und der Sexualität umgegangen ist. Damit zeichnet er ein Gegenbild zur heutigen Situation in vielen muslimischen Ländern.
Weibliche Befriedigung als Pflicht
Ali Ghandour zitiert dafür aus Sexualratgebern, die den Männern etwa raten, wie sie ihre Frauen befriedigen können. Denn die Frauen beim Sex glücklich zu machen, galt als Pflicht für den muslimischen Mann.
Anhand von Literatur und Poesie zeigt der Autor, dass die Liebe und auch der Sex unter Männern im urbanen Umfeld lange Zeit normal war. Auch wenn die Gelehrten sich einig waren, dass der Koran und die Hadithe dies eigentlich verbieten.
Das Buch beschreibt die verschiedenen Arten von Beziehungen. Die Ehe beispielsweise war ein Vertrag, wobei die Scheidung keine moralische Komponente enthielt. Und Ali Ghandour beschreibt die «Genussbeziehungen», die als Vorbild dienen könnten für modernere Beziehungsformen.
Importierte Sexualmoral
Geändert hat sich das alles Ende des 19. Jahrhunderts, als die Europäer ihren Einfluss in der muslimischen Welt ausweiteten. Sie brachten ihre eigene, strikte Sexualmoral mit und bezeichneten den liberalen Umgang mit Sex und Lust in den muslimischen Ländern als pervers und primitiv. Das hielt sie dann aber nicht davon ab, ihre eigenen Fantasien zu projizieren und Bilder von barbusigen Haremsdamen zu malen.
Ali Ghandour zeigt schön, wie die Eliten in den muslimischen Ländern die konservativen Ansichten übernahmen und dass radikale Muslime heute dasselbe tun, wie die Europäer damals: Sie verteufeln die offene Sexualität und bezeichnen sie als verderblich.
Das Buch ist spannend geschrieben, leicht lesbar und regt zum Nachdenken an. An gewissen Stellen ist der Autor allerdings unscharf. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas interessieren ihn nicht.
Seine Konzentration liegt auf dem Vergleich von damals und heute. Eine Entwicklung über den langen Zeitraum vom 7. bis zum 19. Jahrhundert zeichnet er nicht.
Wer sich aber überraschen lassen möchte von einem detaillierten Einblick in Sex und Lust in der muslimischen Welt des Mittelalters, kommt bestimmt auf seine Kosten.