Das Bett verlassen fällt unendlich schwer. Der erholsame Schlaf ist gestört. Vieles erscheint sinnlos. Jeglicher Antrieb fehlt. Wer an einer Depression leidet ist niedergeschlagen, bedrückt, in melancholischer Stimmung. So das gängige Bild. Psychische Erkrankungen aber haben viele Gesichter.
In der Schweiz sind fast 30 Prozent der Bevölkerung einmal im Leben von einer Depression betroffen, stellt das Schweizerische Gesundheitsobservatorium (Obsan) fest. Antidepressiva gehören deshalb zu den am meisten verschriebenen Medikamenten. Über 700'000 Menschen nehmen sie regelmässig ein.
Neue Studie wirft Fragen auf
Es ist wichtig zu wissen: Wie gut Antidepressiva wirken, ist individuell verschieden. Oftmals müssen erst verschiedene Präparate getestet werden, bis sich ein Erfolg einstellt. Vielen Betroffenen helfen Antidepressiva wieder Boden unter die Füsse zu bekommen. Erst dann sind sie in der Lage, die eigentliche Ursache der Depression anzugehen.
Allerdings können die Antidepressiva auch Nebenwirkungen verursachen. Von Krämpfen in den Beinen, Kreislaufproblemen bis hin zu sexuellen Störungen.
Eine kürzlich veröffentliche Studie sorgt nun für Verunsicherung. Die Studie des Nordic Cochrane Centers zweifelt die Wirksamkeit von Antidepressiva an. Sie würden kaum mehr wirken als Placebos.
Wer mit dem Gedanken spielt von Antidepressiva wegzukommen, sollte vor allem eines tun: Nicht eigenmächtig handeln, sondern zusammen mit dem Arzt mögliche Alternativen besprechen.
Gregor Hasler ist Professor für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Freiburg. Er zweifelt nicht an der Seriosität der Studienmacher, aber er hat auch Bedenken.
Diese Studie spiegelt den Alltag nicht. Antidepressiva wirken.
Allerdings nicht zwingend beim ersten Präparat, erklärt Hasler: «Dann suchen wir zusammen mit dem Patienten das Richtige, kombinieren es oder verändern die Dosis.»
Antidepressiva vom Hausarzt
Jeder Arzt kann Antidepressiva verschreiben. Also auch der Hausarzt. Weil viele Betroffene lieber ihren Hausarzt als einen Psychiater oder Psychologen aufsuchen, verschreiben dementsprechend viele Hausärzte Rezepte für Antidepressiva. «In der Schweiz wird tatsächlich zuviel verschrieben, Hausärzte verschreiben mehr als Psychiater», kritisiert Psychiater Gregor Hasler.
Philippe Luchsinger, Präsident des Schweizer Hausärzteverband, kontert: «Beruhigungs- und Schmerzmittel machen schneller abhängig als Antidepressiva.»
Antidepressiva sind wie eine Krücke – eine erste Hilfe.
Für Kathrin Obrist waren Antidepressiva Fluch und Segen zugleich. Die Kunsttherapeutin bezeichnet sich als «Expertin aus Erfahrung». Sie litt unter einer bipolaren Störung mit Hyperaktivität und Wahnvorstellungen. Heute arbeitet Kathrin Obrist in einer Klinik und hilft Betroffenen. Sie sagt, Antidepressiva seien für sie Fluch und Segen zugleich gewesen.
Sie haben mich gerettet, aber in einer zu hohen Dosis auch fast das Leben gekostet.
Extrem wichtig sei, was nach den Antidepressiva komme. Die Gesprächstherapie, das Soziale Umfeld, Selbsthilfegruppen, Bewegung oder Musik und die Auseinandersetzung mit den Ursachen der Krankheit.
Zu Gast in der Sendung «Forum» sind:
- Philippe Luchsinger - Präsident des Schweizer Hausärzteverband
- Gregor Hasler - Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Freiburg
- Kathrin Obrist - Kunsttherapeutin und «Expertin aus Erfahrung»