Donald Trump streckt nur Sekunden nach dem Attentat mit Blut im Gesicht eine Faust in die Höhe. Dieses Bild geht um die Welt. Michael von Graffenried, Fotograf und World-Press-Photo-Preisträger weiss, was es heisst, ein solches Bild zu schiessen.
«Die Fotografen rund um die Trump-Wahlveranstaltung waren Profis, die ihren Job machten», sagt von Graffenried. «Sie waren zu viert und durften in der ersten Reihe fotografieren.» Einer von ihnen hat offenbar das Bild geschossen, das jetzt um die Welt geht.
So etwas könne man nicht planen. Wenn vier Fotografen in der ersten Reihe stehen, seien alle Bilder ähnlich, aber Evan Vucci habe das mit dem besten Bildausschnitt eingefangen. Für Michael von Graffenried ist klar, Vucci hat das Bild des Jahres geschossen und dürfte im nächsten Jahr World-Press-Photo-Gewinner werden. Mehr noch, sogar den Pulitzer-Preis traut er ihm mit diesem Bild zu.
Und jetzt – klingeln die Kassen?
Schreibt ein Musikkomponist einen Welthit, hat er unter Umständen ausgesorgt. Wie ist es bei Evan Vucci? Wird nun seine Kasse klingeln? Michael von Graffenried winkt ab. Ein Agenturfotograf ist angestellt. Der mache seinen Job und erhalte dafür einen Monatslohn. Er akzeptiere, dass die Agentur mit den Bildern machen kann, was sie will. Sie könnte das Bild von Vucci sogar Trump verkaufen, der dann T-Shirts daraus macht und damit seine Kasse füllt.
Ich war nie in meinem Leben bei einer Agentur, weil ich die Kontrolle über meine Bilder nicht verlieren wollte.
Auch wenn Evan Vucci, der für die Agentur AP fotografiert, vielleicht nicht für Trump ist, helfe er ihm, Präsident zu werden. Das sei das Problem eines Agenturfotografen, sagt von Graffenried. Er wisse nicht, wo sein Bild am Schluss lande und wofür es verwendet werde. Das habe dazu geführt, dass er selbst nie bei einer Agentur war. «Ich wollte die Kontrolle über meine Bilder nie verlieren.» Mit anderen Berufskollegen um das beste Bild batteln – auch das hat Michael von Graffenried nicht gemacht.
Besser zu sein als der andere, werde viel schwieriger, wenn vier, 20 oder 50 Fotografen das Lauberhornrennen fotografieren. Die Konkurrenz sei da riesig. «Ich ging lieber dorthin, wo niemand sonst hingeht.» So war er etwa während und nach dem algerischen Bürgerkrieg der einzige westliche Fotograf im nordafrikanischen Land. Für die Bilder, die dort entstanden sind, wurde er mehrfach ausgezeichnet.
Das Bild von Trump nach dem Attentat ist mit Sicherheit kein Fake.
Gerade für freie Fotografen seien Auszeichnungen wie World Press Photo oder der Swiss Press Award wichtig. Im Gegensatz zu den Agenturfotografen erhalten diese kein fixes Salär. Sie bekommen nur das, was sie mit ihren Bildern in den Medien verdienen, und das sei zwischenzeitlich auch nicht mehr so viel.
Wer beispielsweise in der Schweiz Fotograf des Jahres wird, erhalte 25'000 Franken. Damit könne der Gewinner ein Jahr lang ein Thema bearbeiten, wo er nichts verdient, wo er auch keinen Auftrag hat. Gewinne ein Agenturfotograf, sei das für ihn gewissermassen ein Zubrot, eine Gratifikation.
Echt oder fake?
Angesprochen auf das neue Zeitalter, in dem die künstliche Intelligenz (KI) Einzug hält, stellt sich die Frage, wie gross das Risiko eines Fake-Bildes ist. «Das Bild von Trump nach dem Attentat ist mit Sicherheit kein Fake», sagt Michael von Graffenried überzeugt. Es gäbe TV-Aufnahmen und die anderen Bilder der Fotografen in der ersten Reihe. Man könne alles rekonstruieren. Zudem sei AP eine weltweit angesehene Agentur, und wenn diese anfangen würde, Bilder zu faken, dann könnten wir alles vergessen. Dann sei die Demokratie am Ende.