Frau M wird entlassen
Frau M* hat in diesen Tagen ihre Arbeitsstelle verloren, weil sie schon zu lange an Long Covid erkrankt ist. Sie arbeitete in der Pflege und hatte sich im Spital mit Covid angesteckt. Nach durchgemachter Krankheit begann sie wieder zu arbeiten, mit einem 50 Prozent Pensum. Das war zu viel. Sie wurde wieder krank. An Arbeit war nicht mehr zu denken. Die Krankentaggeldversicherung kam zum Tragen, später stieg die IV mit Arbeitsversuchen ein. Vergebens.
Denn die chronische Erschöpfung, das Chronic Fatigue Syndrom, und Schmerzen, beides typisch für Long Covid Patienten, verhinderten die Bemühungen von Frau M, wieder in den Arbeitsprozess einzufädeln. Die IV brach den Arbeitsversuch ab. Das Spital kündetet ihr am Tag darauf. Nun geht es in den nächsten Monaten darum, ob Frau M eine IV-Rente erhält. Ausgang offen.
Frau M ist kein Einzelfall
Die IV-Stellen in der Schweiz haben in den Jahren 2021 und 2022 je knapp 2000 Personen erfasst, die unter Langzeitschäden nach einer Covid-19 Infektion leiden. Ein Teil davon sind Long Covid Patientinnen, der andere Teil sind Personen, die zu einer bereits bestehenden Krankheit, zum Beispiel Krebs, noch zusätzlich an Covid erkrankten. Wie viele Personen «nur» wegen Long Covid bei der IV angemeldet sind, weiss man nicht. Und wer von diesen Personen wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert wurde oder eine Rente bekam, auch nicht. Das Bundesamt für Sozialversicherungen will das nun ändern und vergibt einen Forschungsauftrag, um detailliertes Wissen zu erlangen.
Long Covid Patientinnen ernst nehmen
«Tausenden läuft jetzt nach zwei Jahren Erkrankung (2. Welle) die Taggeldversicherung aus und sie verlieren reihenweise Jobs, Geld, ihre Beziehungen, ihre Pension», sagt Florence Isler, Vizepräsidentin vom Verein Long Covid Schweiz. Für sie ist auch klar: «Eigentlich sollte jeder Fall von Long Covid ein Fall für die IV sein, wenn die Betroffenen dadurch nachhaltig eingeschränkt sind in ihrer Leistungsfähigkeit». Viele würden jedoch die Kriterien nicht erfüllen, weil die Krankheit noch nicht durchwegs anerkannt sei. Es mangle an Wissen, Mitteln für Forschung, neuen Diagnoseverfahren, Therapien und der Bereitschaft der involvierten Stellen Verantwortung zu übernehmen, sich auszutauschen und zu koordinieren. Vielerorts würden die Patienten und Patientinnen auch bezüglich ihres Invaliditätsgrades noch nicht genug ernst genommen.
«Schwer objektivierbare Krankheitsbilder»
Thomas Pfiffner ist Leiter der IV-Stelle Kanton Graubünden und im Vorstand der IV-Stellen- Konferenz Schweiz. Das Gefühl der Long Covid Patienten, man lasse sie alleine, kann er nachvollziehen. Aber: «Die IV-Stellen sind verpflichtet, die Erwerbsfähigkeit und in diesem Zusammenhang den Gesundheitszustand der Betroffenen genau abzuklären». Sogenannte «schwer objektivierbare Krankheitsbilder», also Leiden, die sich beispielsweise nicht mit bildgebenden Verfahren oder Blutwerten einfach bestätigen liessen, würden im IV-Verfahren oft aufwändige und langwierige versicherungsmedizinische Abklärungen auslösen. Man kenne diese Situation auch beim Schleudertrauma oder bei den meisten psychiatrischen Störungen. Bei Long Covid komme erschwerend hinzu, dass die Diagnose für die Medizin relativ neu sei und wenig Erfahrungswerte vorlägen.
*Name der Redaktion bekannt