Die Schweiz ist ein Land der Sitzbänke. Die liebevoll «Bänkli» genannten Sitzgelegenheiten sind eine Institution in unserem Land. Über 200'000 Exemplare stehen in Stadtparks, an Wanderwegen und an spektakulären Aussichtspunkten in einigen Metern über Meer.
Ruhepole in einer bewegten Welt
Renate Albrecher ist Forscherin für Stadtsoziologie an der ETH Lausanne. Sie weiss um die «Unglaublich hohe Dichte an Bänken» in der Schweiz und sagt: «Der öffentliche Raum ist ein Durchgangsraum geworden.» Man bewegt sich und ist mobil.
Bänkli-Vielfalt in der Schweiz
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Bild 1 von 3. Eine mit Strick-Graffito verzierte Bank in der Stadt Basel. Bildquelle: KEYSTONE/BRANKO DE LANG.
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Bild 2 von 3. Ein zugeschneites Bänkli am Oeschinensee in Bern. Bildquelle: Shutterstock/Tauav.
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Bild 3 von 3. Wunderbare Aussicht vom Bänkli im Tessiner Gambarogno. Bildquelle: Depositphotos/Kerstin Piccardi.
Sich statisch an einem Ort aufzuhalten, stehen- oder sitzenzubleiben ist eigentlich die Ausnahme. Den aktiven Gegenpart dazu bildeten eben genau diese «Bänkli». Ein Bänkli sei eine Einladung: Hier dürfe man, so die Soziologin, eben noch Platz nehmen. Bänkli sind also eine Art «Tankstelle für Fussgängerinnen und Fussgänger».
Sitzbänke als Mittel gegen Einsamkeit
Der gesellschaftliche Aspekt der Sitzbänke sei aber nicht zu unterschätzen, erklärt Albrecher. Viel mehr Leute leben heutzutage alleine. Dadurch nähme die Einsamkeit insgesamt zu und verursache grosse soziale und finanzielle Kosten für die Gesellschaft. «Ein Bänkli ist ein Ort, an dem man sich hinsetzen kann, ohne dass man sich rechtfertigen muss.» Darum sind «Bänkli» wichtig, sagt die Soziologin: Informell, mit anderen Menschen ein paar Worte zu tauschen und sich als Teil der Gesellschaft zu erleben, hilft gegen die Einsamkeit. Und gerade das Sitzbänkli ist eben so ein Ort, an dem man sich trifft.
Selbst wenn man nicht aktiv ins Gespräch kommt auf einer Parkbank, sei nur schon die Wahrnehmung, dass andere Menschen sich um einen herum aufhalten, wichtig. Ein Blickkontakt oder ein Gruss reichen, um sich selbst als Teil der Gesellschaft zu erleben.
Früher für die Bourgeoise geschaffen
Entgegen der gemeinschaftsfördernden Wirkung, welche die Soziologin Albrecher den Sitzbänken im urbanen Raum attestiert, waren Sitzbänke früher eine Erfindung nur für die Oberschicht.
Installiert wurden sie Mitte des 19. Jahrhunderts in öffentlichen Parks in Städten für die wohlhabende Schicht, welche entsprechend Zeit fürs Flanieren hatte. Der Deutsche Schriftsteller und Journalist Theodor Fontane war ebenfalls ein grosser «Bänkli»-Enthusiast. Er sagte dereinst: «Ich bin immer, auch im Leben, für Ruhepunkte. Parks ohne Bänke können mir gestohlen bleiben.»
Heute wie für Instagram platziert
Die Schweiz habe auch ausserhalb der Städte Schönes zu zeigen, meint Albrecher: «Andere Länder haben auch Sitzbänke in der Natur, aber sie können nicht das Gleiche präsentieren.» Auf Instagram wurde beispielsweise der Hashtag #oeschinensee bisher ca. 140'000 Mal erwähnt.
Die Folge davon: Der Ort wurde regelrecht überrannt. Der Oeschinensee stehe laut der Soziologin sinnbildlich für viele andere schöne Orte in der Schweiz. Der Oeschinensee bilde auch ein Klischee der Schweiz ab: Berge, Seen, schöne Farben – ein traumhaftes Panorama.
«Bänkli waren von Anfang an eigentlich als Insta-Spots angedacht», sagt Albrecher. Denn die Sitzgelegenheiten an besonderen Orten in der Natur wurden ursprünglich errichtet für Touristen. Sie wurden als Orte konzipiert, wo man sich hinsetzen und kontemplieren kann. Albrecher geht sogar einen Schritt weiter und sagt, dass eine Sitzbank eigentlich eine Projektionsfläche für eigene Bedürfnisse und Wünsche sei, darum seien wohl solche Orte wie der Insta-Hotspot am Oeschinensee auch so beliebt.