«Die Geschichte des verlorenen Kindes» handelt von Verlust, Schmerz und Tod. Elena Ferrantes Protagonistinnen sind reife Kriegerinnen geworden. Lila ist in Neapel geblieben. Sie ist eine erfolgreiche Businessfrau, die alles dransetzt, den beiden Mafia-Brüdern im Rione das Handwerk zu legen. Und Lenù hat sich zu einer achtbaren Autorin gemausert. Stolz kehrt sie in ihre Heimatstadt zurück, aus Liebe. Und kämpft an der Seite von Lila mit scharfer Feder gegen die Camorra. Doch gerade als sie denkt, das Leben im Rione könne ihr nichts mehr anhaben, kommt es anders.
«Es fiel mir schwer, den Tod meiner Mutter zu akzeptieren. Obwohl ich keine Tränen vergoss, hielt mein Schmerz lange an und ist vielleicht nie wirklich vergangen. Zum ersten Mal spürte ich die Wucht der Zeit, diese Kraft, die mich nun auf die vierzig zutrieb, das Tempo, mit dem das Leben sich verbrauchte, und auch, wie konkret man dem Tod ausgesetzt ist: Wenn ihr das passiert, dachte ich, dann wird es auch mir passieren, da hilft alles nichts.»
Daumen rauf
- Die Geschichte von Lila und Lenù ist zu Ende, aber in meinem Herzen leben die beiden Freundinnen weiter.
- Psychologisch stark. Knallhart beschreibt Ferrante was passiert, wenn man einen grossen Verlust erleidet. Wenn Zuversicht, Selbstliebe und Selbstrespekt fehlen, diesen auszuhalten.
- Tragisch. Lenù und Lila wollen dem Sumpf ihrer Herkunft entkommen. Doch keine der beiden Freundinnen schafft das.
- Elena Ferrante gibt mir Einblick in die intimsten Gedanken ihrer Figuren. Mal sind mir Lila und Lenù sympathisch, dann wieder nicht. Ferrante schreibt: «Nur in schlechten Romanen denken und sagen die Leute immer das Richtige.» Stimmt. Jeder ist mal ein Dreckskerl, oder etwa nicht?
- Lila ist Lenùs Stachel. Sie stichelt, bohrt, verletzt und manipuliert. Das lässt einem nicht kalt. «Und was ist das Meer, von da oben? Ein bisschen Farbe. Besser, du gehst dicht ran, dann siehst du, dass es ein Haufen Müll ist, Dreck, Pisse, verpestetes Wasser. Aber solchen wie dir, die Bücher lesen und schreiben, gefällt es ja, sich statt der Wahrheit Lügen zu erzählen.» Pieks.
- Copy & Paste. Meine Lobeshymne auf Band drei «Die Geschichte der getrennten Wege» gilt auch für Band vier. Diese zu wiederholen wäre: laaaaangweilig!
- Schon als Kind wollte ich immer eine Lila-Zimmerwand. Doch des Malers Lila war leider Gelb. Hat meine Mutter behauptet. Dafür gefällt mir jetzt das Buch-Cover. Und dann noch diese sinnige Koinzidenz: «Lila» in Lila. Hüstel.
Daumen runter
In drei Bänden erzählt Ferrante die erste Lebenshälfte von Lila und Lenù. Für die zweite Lebenshälfte braucht sie nur noch einen Band. Offenbar kommt ab vierzig nicht mehr viel: ausser das Ende?! Kreisch.
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Die Autorin
Elena Ferrante ist ein Pseudonym. Man vermutet, dass die Übersetzerin Anita Raja, geboren 1953 in Neapel, hinter der geheimnisvollen Autorin steckt. Das haben Nachforschungen eines Journalisten ergeben, der den Zahlungsverkehr zwischen Elena Ferrantes italienischem Verlag und Anita Raja unter die Lupe genommen hat. Bestätigt wurde das aber bislang nicht. Ist auch recht so.
Das Buch: Elena Ferrante: «Die Geschichte des verlorenen Kindes» (2018, Suhrkamp)
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