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Die letzte Ruhe Exhumator: «Ich helfe den Toten richtig zu verrotten»

Die letzte Ruhe gibt es für manche erst beim zweiten Versuch. Dann zum Beispiel, wenn der Boden die Körper nicht verwesen lässt.

Gesäss, Oberschenkel, Wadenbein. Knochen für Knochen legt Heinz Wicki neben sich auf die Erde. Erst ganz zum Schluss folgt der Schädel. Ruhig und ohne zu zögern platziert er jedes Stück, so dass in nur wenigen Minuten ein ganzes Skelett neben ihm in der Grube liegt. Bis zu 5000 Menschen jährlich bestattet Exhumator Heinz Wicki ein zweites Mal. Dieses Mal sind es die Überreste eines 63 jährigen Mannes, der vor knapp 60 Jahren verstorben ist.

Dass Heinz Wicki auch bei einer zweiten Bestattung alle Knochen feinsäuberlich drapiert und nicht einfach auf einem Haufen ins Grab legt, ist für ihn eine Frage des Respekts. «Es ist ästhetisch und pietätvoll. Ich möchte den Angehörigen in die Augen schauen können, wenn sie mich fragen, wie ich es gemacht habe.»

Exhumation ist Handarbeit

SRF trifft Heinz Wicki auf einem Friedhof in einem Vorort der Stadt Zürich. Hierhin wurde der Exhumator gerufen, weil eine ganze Reihe von Familiengräbern saniert werden muss und deshalb auch Verstorbene exhumiert und neu bestattet werden müssen.

Im schlimmsten Fall schauen sie dich noch an.
Autor: Heinz Wicki Exhumator

Vor ein paar Wochen wurde deshalb in einem ersten Schritt mit einem Bagger einige Zentimeter des Erdreichs abgetragen. Tauchen die Särge auf, kommt Heinz Wicki zum Einsatz. Ab dann ist Handarbeit angesagt. Sorgfältig wird jeder einzelne Knochen exhumiert und samt Grabbeilagen in einem Sarg zwischengelagert. «Ich schaue immer, dass ich ja nie einen verliere. Das ist mein Gebot.»

Nach 60 Jahren keine Verwesung

Hier bei diesen Familiengräbern hatte er «Glück». Die meisten Körper sind nach 60 Jahren unter der Erde skelettiert. Nur in einem Fall ist noch Fettgewebe zu sehen. Eine Art weisse Platte, die das Becken und die Beine zusammenhält. «Wenn Fettgewebe erhärtet, dann könnte man das Skelett aufrecht hinstellen.» Dieser Mann war vor über 60 Jahren in einem Sarg begraben worden, der mit Plastik ausgekleidet war. Darin konnte das Wasser nicht ablaufen und der Verwesungsprozess wurde behindert. Auch sein Gebiss ist noch da. Auch noch nach 60 Jahren unter der Erde in einem tiptopem Zustand.

Bestattungskultur im Wandel

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Legende: Keystone

Erdbestattungen sind immer weniger beliebt. 80% lassen sich in der Schweiz kremieren. In der Stadt Zürich sind es sogar 88%. Viele wünsche auch kein einzelnes Grab mehr, sondern wählen das Gemeinschaftsgrab. In der Stadt Zürich sind es rund 40%. Rund 7% holen in der Stadt Zürich die Asche in der Urne ab und verstreuen sie, stellen sie zu Hause auf oder setzen sie zu einem späteren Zeitpunkt bei.

(Quelle: Bundesamt für Statistik, Friedhofamt Stadt Zürich)

So optimal läuft es nicht immer. Heinz Wicki erinnert sich an eine Situation vor einigen Jahren: Eine Leiche nach der nächsten habe man in einem Grabfeld entdeckt. «Alle konserviert, da sie im Wasser lagen. Das war kein schönes Bild.» Solche Wachsleichen findet man vor allem in lehmhaltigen Böden. Denn damit ein Körper gut verrotten kann – sprich in 5-7 Jahren – muss der Boden Sauerstoff durchlässig sein und das Wasser muss ablaufen können. Ist dies nicht der Fall, ist der Körper auch noch nach 100 Jahren vollkommen erhalten.

Exhumation als Berufung

Heinz Wicki mag solche Situationen auch nicht, aber er könne gut damit umgehen. «Einfach zurück spulen», ist sein Rezept. Und er habe sich immer geschworen, sollte der Tag kommen, an welchen ihn die Bilder nicht mehr loslassen, dann würde er aufhören. In den letzten 40 Jahren war das aber nie der Fall.

Es ist ästhetisch und pietätvoll. Ich möchte den Angehörigen in die Augen schauen können.
Autor: Heinz Wicki Exhumator

Dass Heinz Wicki bereits mit anfangs 20 Exhumator wurde, hat mehr mit Zufall als mit bewusster Wahl zu tun. Der gelernte Landschaftsgärtner musste sich nach einem Arbeitsunfall neu orientieren und erhielt einen Job bei einer Firma, die sich auf Friedhofsplanung und Exhumationen spezialisiert hatte. Er ist geblieben. Mit Hilfe von Gerichtsmedizinern und Archäologen hat er sich das meiste seines Handwerks selbst beigebracht. «Es gibt nicht viele von mir», meint der 61 jährige lachend. Für ihn sei es eine Berufung, er fühle sich wohl mit den Toten.

Podcast Input Story, 28. Oktober 2020 ; 

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