«Ich drehe mich im Kreis und weiss nicht, wohin die Reise geht», sagt Jens Amendt. Der forensische Insektenkundler will in Deutschland die erste Bodyfarm ins Leben rufen. Ein Gelände also, auf dem Wissenschaftler menschliche Leichen unter freiem Himmel auslegen, um sie zu untersuchen und wissenschaftlich auszuwerten.
Vor einem Jahr berichteten diverse Medien über Amendts Vorhaben. «Die Reaktionen waren sehr positiv», sagt Amendt. Verschiedene Gelände seien ihm angeboten worden. Auch hätten Menschen sich bei ihm gemeldet, die ihm ihre Leiche zu Forschungszwecken vermachen wollten.
Niemand wagt den ersten Schritt
Wie sehr Jens Amendt auch für seine Idee brennt: «Das Projekt geht nicht weiter, weil ich ein Einzelkämpfer bin.» Seine Hauptaufgabe gehört der Forschungs- und Lehrtätigkeit.
Als «Wirtschaftslaie» sei er auf professionelle Unterstützung angewiesen. «Um das Projekt zu realisieren, braucht es eine Task-Force.» Zwar stosse Amendt vielerorts auf Interesse. «Aber niemand hat den Mut, den ersten Schritt zu machen.»
Eine Body-Farm, eine Art Verwesungsgelände, hat verschiedene Voraussetzungen zu erfüllen: Das Gelände muss nach aussen hin geschützt sein, sodass schaulustige oder unbefugte Personen nicht eindringen können.
Es gelten Umweltschutzauflagen. Bestattungs- und Friedhofsgesetze des Ortes sind zu beachten. Ein Gelände in einem Wasserschutzgebiet ist tabu. Und es braucht das offizielle Einverständnis der Politik.
Vielseitige Landschaft
Amendt sucht ein vielseitiges Gelände mit Wiesen, Wälder, Wasser. «Idealerweise steht auf dem Areal auch ein altes Gebäude, in dem wir Leichen auslegen können.» Amendt bemerkt, dass zwei Drittel der Leichen, die von Insekten befallen sind, in geschlossenen Räumen gefunden werden.
Zudem wünscht sich Amendt, dass das Gelände eine gewisse Grösse aufweist – mindestens einen Hektar. «Ich will eine grosse Lösung. Ein Institut, das 24 Stunden aktiv ist, und sich mit unterschiedlichsten Fragestellungen zu Verwesung und Aas beschäftigt.»
Auch in der Schweiz Body-Farm geplant
Während Jens Amendt in Deutschland sein Projekt weiterverfolgt, beschäftigt sich Vincent Varlet auch in der Schweiz mit der Idee einer Body-Farm. Doch zu Details und wie weit die Planung einer solchen Einrichtung fortgeschritten ist, will sich Vincent Varlet nicht äussern.
«Wir arbeiten mit viel Elan daran und stehen mit verschiedenen Organisationen, Behörden und Institutionen in Kontakt», sagt der Leiter des Schweizer Humaninstituts für forensische Taphonomie vom Westschweizer Universitätszentrum für Rechtsmedizin in Lausanne.
Insektenkunde und Rechtsmedizin
Varlet arbeitet seit sechs Jahren zum Thema. Anfang 2020 publizierte er einen wissenschaftlichen Artikel über die ethischen und juristischen Aspekte einer Body-Farm im Schweizer Kontext.
Das Interesse für die Errichtung eines Verwesungsgelände führt Varlet darauf zurück, dass die Wissenschaft der Insektenkunde in die Forensik aufgenommen wurde, um die Zersetzung menschlicher Leichen anhand des Insektenbefalls zu verstehen. So können Forscher die Umstände und den Todeszeitpunkt einer Person besser klären.
Die Kenntnisse von Temperatur, Feuchtigkeit und Insektenbefall von Leichen helfen auch in der Untersuchung von entdeckten Massengräbern oder bei der Bergung und Identifizierung von Leichen nach Naturkatastrophen.
«Ein solches Gelände könnte der Forschung verschiedenster Disziplinen dienlich sein», sagt Varlet.
Realistischer Schauplatz für Ausbildung
Gerade bei Untersuchungen von Tötungsdelikten könnten Body-Farms einen wesentlichen Beitrag leisten, betont der forensische Insektenkundler Jens Amendt. Experten wie er ermitteln mithilfe von Insekten den Todeszeitpunkt eines Menschen, ob er vergiftet worden ist oder Drogen intus hatte.
Amendts Kenntnisse kommen dann ins Spiel, wenn eine Leiche erst nach mehreren Wochen gefunden wird. Dann also, wenn klassische Methoden wie etwa die Untersuchung von Leichenflecken an ihre Grenzen stossen.
Anhand des Befalls der Leiche durch Fliegen, Maden und Käfer, sowie dem Alter der Tiere kann Amendt wesentliche Information zur Klärung eines Todesfalls beitragen.
«Statt an Tierkadavern zu forschen, könnten in einem Verwesungsareal realistische Situationen dargestellt werden», sagt Amendt. Denn die Forschungsergebnisse von toten Schweinen seien nicht eins zu eins auf den Menschen übertragbar.
Neben der Wissenschaft hätten auch Kriminalbiologen und Spurensicherer Interesse an einer solchen Einrichtung, ist Amendt überzeugt: «Hier könnten wir Spürhunde ausbilden und Polizisten ermöglichen, an einem realistischen Schauplatz ihr Wissen anzuwenden.»