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Gesundheitswesen Applaus war gestern, wo sind die Taten?

Während der Pandemie war die Schweiz im März vor fünf Jahren im Shutdown. Die Strassen waren leer und die Spitalbetten voll. Das Gesundheitssystem wurde auf eine harte Probe gestellt und am 20. März 2020 gab es Applaus für all jene, die arbeiten mussten. Insbesondere für das Pflegepersonal, das alles gab, um den systemrelevanten Betrieb aufrechtzuerhalten. Die dipl. Pflegefachfrau Patricia Tschannen hat die Coronazeit hautnah miterlebt.

Patricia Tschannen

dipl. Pflegefachfrau

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Patricia Tschannen ist seit 2001 als Pflegefachfrau tätig. Sie arbeitet in einem Akutspital und macht seit 5 Jahren ausschliesslich Nachtdienst. Sie ist auch Bloggerin im Bereich des Gesundheitswesens.

SRF: Was ist Ihre Erinnerung an den Applaus vor 5 Jahren?

Patricia Tschannen: Ich habe gerade wieder Hühnerhaut, wenn ich daran denke. Das war ein eindrücklicher Moment. Mich hat überrascht, was ich hörte – es war richtig laut. Das hat mich damals extremst berührt. Es war ein Gefühl von: Hey, wir werden gesehen. Was wir jetzt leisten, das so ausserordentlich ist und das uns so viel abverlangt, wird gesehen.

Was hat das mit Ihnen gemacht?

Mir hat es in diesem Moment Mut und Kraft gegeben. Das Problem in der Pflege und den Fachkräftemangel gab es schon vor Corona. Corona kam noch obendrauf. Man wusste: Das kann voll kippen. Es kann sein, dass es so eskaliert, dass Menschen nicht betreut und versorgt werden können. Das war plötzlich in der Öffentlichkeit sehr präsent. Man hat gemerkt: Wir sind nicht bereit für eine Pandemie.

Nach dem Applaus hat die Schweizer Stimmbevölkerung 2021 die Pflegeinitiative angenommen. Mit einem Blick zurück: Ist in Ihren Augen genug gegangen, um die Arbeitssituation der Pflegenden zu verbessern?

Nein. Wir wurden damals für einen kurzen Augenblick gesehen. Sind dann aber wieder von der Plattform der Aufmerksamkeit verschwunden. Ich habe das Gefühl, dass sich heute nur noch wenige dafür interessieren, wie es uns in der Pflege geht.

Wir brauchen Leute, die Verantwortung übernehmen. Die endlich schauen, was in unserem Gesundheitswesen läuft und was schiefläuft.
Autor: Patricia Tschannen dipl. Pflegefachfrau

Was macht das mit einem, wenn nach der Aufmerksamkeit alles wieder in sich zusammenfällt?

Das Klatschen von damals hat für viele einen Nachgeschmack – weil es dabei blieb. Die Menschen meinten es ehrlich, es war das Einzige, was sie tun konnten. Dafür bin ich dankbar.

Aber ich will keinen Applaus mehr von Politikerinnen und Politikern – ich will Taten. Das Schönreden – oh, ihr leistet so viel – ist nur ein Streicheln über den Kopf. Wir brauchen Verantwortung. Wir brauchen Leute, die endlich hinschauen, was im Gesundheitswesen läuft – und was schiefläuft.

Wo drückt der Schuh heute am meisten?

Schwer zu sagen, wo es am meisten drückt. Ich empfehle allen den Film «Heldin», der gerade läuft – schaut ihn euch an, dann wisst ihr es. Wir sind zu wenige, die Arbeitslast ist zu hoch. Wenn sich nichts grundlegend ändert, können wir unseren Job nicht richtig machen. Eine zentrale Frage ist: Wohin fliesst das Geld im Gesundheitswesen – und ist es dort richtig investiert?

Sie hatten gerade Nachtdienst. Was fehlt Ihnen da am meisten?

Ich betreue in der Nacht 12 bis 14 Patienten. Das ist zu viel. Manche von ihnen sind frisch operiert. Ich bräuchte dringend eine Kollegin, einen Kollegen mehr. Mindestens eine Person mehr in der Nacht.

Man kann den Patienten nicht gerecht werden?

Das gerecht werden ist das eine – da geht es um Wohlbefinden, was wichtig ist. Aber wir sprechen hier von essenziellen Dingen. Es kann passieren, dass ich zu spät bin, etwas übersehe oder im Stress einen Fehler mache, der für jemanden lebensgefährlich sein kann. Darum geht es, nicht um Wellnessprobleme.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was wäre es für die Pflegenden in der Schweiz?

Dass das Thema in der Öffentlichkeit bleibt und dass es in der Politik einen hohen Stellenwert erhält.

Das Gespräch führte Sandra Schiess.

Radio SRF 1, 20.03.2025, 07:10 Uhr ; 

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