Diplomierte Pflegefachfrau: Für Julia Meier ist es eigentlich ein Traumberuf. Die 23-Jährige steht kurz vor dem Abschluss ihrer vierjährigen Ausbildung. Derzeit arbeitet sie in einem Spital und sieht sich betrogen um ihren Traum: «Was mich stört, sind die Arbeitsbedingungen. Dass wir zu wenig Zeit am Patienten haben und immer mehr am Computer sitzen müssen. Dass die Pflege verloren geht. Wir machen nur noch Funktionspflege, das heisst: Ins Zimmer rein, Blut entnehmen, wieder rausgehen.»
Vielen löscht es bereits in der Ausbildung ab
Julia Meier heisst anders. Sie möchte unerkannt bleiben. Ihre Aussagen aber stehen für viele, die sich für einen Pflegeberuf entschieden haben. Zwar haben Kantone und Arbeitgeberinnen in den letzten Jahren viel für mehr Nachwuchs in der Pflege unternommen und die Ausbildungszahlen um einen Drittel angehoben.
Doch wie Julia Meier löscht es vielen bereits in der Ausbildung ab: «Die Betriebe planen sehr knapp. Wenn Personen ausfallen, wird umgeplant. Das fällt auf andere Kollegen zurück, die dann mehr arbeiten müssen. Die Teams haben keine Reserven.»
Die schleichende Einführung einer Art Arbeit auf Abruf macht die Leute mürbe.
Das beobachtet auch Pierre-André Wagner vom Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK): «Die Betriebe halten sich nicht mehr an die Dienstpläne. Leute werden in der Freizeit herbeigerufen oder man schickt sie aus einem geplanten Dienst nach Hause, weil gerade zu wenig zu tun ist. Diese schleichende Einführung einer Art Arbeit auf Abruf macht die Leute mürbe.»
Vermeidbare Folgeschäden
Unmögliche Arbeitsbedingungen – nicht aus Bosheit, so Wagner, sondern weil die nötigen Finanzen fehlten, weil der Kostendruck zugenommen habe – egal, ob in Spitälern, Heimen oder bei der Spitex. Das sei am falschen Ort gespart: «Es fliesst viel Geld in die Behandlung von Komplikationen, von Folgeschäden, die nicht aufgetreten wären mit einer guten Pflege und gut ausgebildeten Leuten. Man muss in die Pflege investieren.»
Studien zeigen denn auch, dass personell gut aufgestellte Teams besser arbeiten, dass sie weniger Personalwechsel und weniger kranke Team-Mitglieder haben. Das wissen auch die grössten Arbeitgeber-Verbände für die Pflege, jene der Spitäler und der Heime. Bei Curaviva sagt Monika Weder: «Wir sind überzeugt, dass die Betriebe versuchen, diese Planung bestmöglich zu machen.»
Pflegebranche im Umbruch
Sie räumt aber ein, dass der Fachkräftemangel und der Kostendruck kurzfristig zu Engpässen führten. Beim Verband der Spitäler H+ sagt Direktorin Anne Bütikofer, die Branche sei im Umbruch. Sie versteht, dass sich die Pflegenden etwa am administrativen Mehraufwand stören. Generell aber glauben H+ und Curaviva an eine hohe Arbeitszufriedenheit – das zeigen frühere Studien.
Es ist der ganze Nonsens, den ich sehe in der Pflegebranche, der ganze Druck.
Allerdings war es die Unzufriedenheit, welche die Pflegeinitiative möglich machte, die nun im parlamentarischen Prozess steckt. Dazu kommen verschiedene Reform-Ideen zum Gesundheitswesen, welche auch die Finanzierung der Pflege betreffen.
Für die angehende Pflegefachfrau Julia Meier werden diese Veränderungen zu spät kommen. In der Ausbildung hat sie nicht gefunden, was sie erwartet hatte. Sie wird den Beruf deshalb verlassen: «Langfristig werde ich nicht im Beruf bleiben, weil ich an die Grenzen komme. Nicht nur wegen der physischen und psychischen Belastung. Es ist der ganze Nonsens, den ich sehe, der ganze Druck.» Wohin Julia Meiers Weg führt, ist offen.