Die Zahl der Übergriffe auf LGBTIQ-Menschen hat sich in der Schweiz mehr als verdoppelt. Das zeigt der neuste «Hate Crime»-Bericht. Was sind die Gründe für diese Entwicklung? Roman Heggli, Geschäftsführer vom Dachverband schwuler und bisexueller Männer Pink Cross ordnet ein.
SRF: Was löst das bei Ihnen persönlich aus, wenn Sie von diesen Übergriffen hören?
Roman Heggli: Es bestürzt mich. Es ist krass, wie viele homophobe Angriffe wir verzeichnen mussten. Es sind Angriffe, sich auf die ganze Community auswirken. Das heisst, dass auch ich wieder unsicherer durch die Strassen gehe, wenn ich mit meinem Freund Händchen haltend unterwegs bin.
305 Fälle im letzten Jahr, steht im neusten «Hate Crime»-Bericht. Das ist eine Verdoppelung. Ist wirklich mehr passiert oder melden sich mehr Leute?
Wir haben keine spezielle Werbekampagne gemacht und müssen davon ausgehen, dass wir tatsächlich mehr Fälle haben. Zudem dürfte die Dunkelziffer riesig sein. Daran ist das queerfeindliche Klima zu erkennen, das wir aktuell haben. In der Politik, in den Medien, in der Gesellschaft. Das hat negative Auswirkung auf die Sicherheit und die Erfahrungen, die LGBTIQ-Personen auf der Strasse und in der Öffentlichkeit machen.
Es geht um gezielte Angriffe, weil man queer und nicht hetero und cis ist.
Sie betreiben zusammen mit anderen Organisationen eine Hotline, wo sich Betroffene melden können. Was wird Ihnen berichtet, was sind das für Vorfälle?
Das beginnt mit Beschimpfungen, Beleidigungen und geht bis zu Handgreiflichkeiten und körperlichen Angriffen. Es ist krass, es geht nicht um eine Schlägerei, in die man plötzlich hineingerät. Es geht um gezielte Angriffe, weil man queer und nicht hetero und cis ist.
Sind es wirklich Angriffe, die mit der sexuellen Orientierung zu tun haben oder weil jemand äusserlich anders auftritt?
Man wird meist angegriffen, wenn man als queer sichtbar ist und das Äussere nicht der Norm entspricht. Die Beleidigungen und Beschimpfungen zielen stark auf die sexuelle Orientierung oder die Geschlechtsidentität ab. Es sind keine Angriffe, die zufälligerweise passieren.
Die teilweise LGBTIQ-Feindlichkeit in der breiten Gesellschaft ist neu und besorgt mich.
Was sind das für Leute, die solche Übergriffe machen?
Es gibt Gruppen von jungen Männern, die am Freitagabend etwas gelangweilt an der Strassenecke herumstehen. Gleichzeitig gibt es vermehrt auch ältere Personen, die in der Öffentlichkeit und am helllichten Tag pöbeln. Von denen man verfolgt oder bedroht wird. Die teilweise LGBTIQ-Feindlichkeit in der breiten Gesellschaft ist neu und besorgt mich.
Offensichtliche Übergriffe sind das eine, aber es gibt auch andere Probleme.
Es gibt diverse Diskriminierungen. Wir hatten vor ein paar Wochen den Fall einer schwulen Lehrperson in Pfäffikon, die ihren Job verloren hat. Wir haben auch immer wieder Fälle, bei denen es zu Nachbarschaftsstreitereien kommt oder zu einer Diskriminierung bei der Wohnungssuche. Das verbindende Element sind die Angriffe und Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität.
Was kann man dagegen machen, wo muss man ansetzen?
Alle sind gefragt. Wir müssen Zivilcourage zeigen. Ich finde wichtig, dass man an den Schulen beginnt. Dort muss endlich dafür gesorgt werden, dass die Akzeptanz steigt. Vielfalt gelebt und gefördert wird. Schlussendlich braucht es Geld. Beratungsangebote für Betroffene, wie eine LGBTIQ-Helpline, sind momentan nur durch Spenden finanziert. Das geht nicht. Da muss der Staat seine Verantwortung wahrnehmen. Er muss solche Sachen finanzieren und weitere Massnahmen ergreifen, damit wir «Hate Crime» in den Griff bekommen.
Das Gespräch führte Stefan Siegenthaler.