Jung, obdachlos und unsichtbar - Hunderte junge Menschen in der Schweiz sind obdachlos
Über 400 Menschen zwischen 18 und 25 Jahren in der Schweiz sind gemäss einer Studie der Nordwestschweiz obdachlos. Wie viele es konkret sind, ist unbekannt und es gibt eine hohe Dunkelziffer. Oft sieht man diese Obdachlosen nicht offensichtlich auf der Strasse am Betteln, sie verstecken ihre Lage.
Schätzungsweise 2200 Menschen sind in der Schweiz obdachlos. Dies zeigt die Studie «Obdachlosigkeit in der Schweiz» der Hochschule für Soziale Arbeit Nordwestschweiz. Darunter finden sich auch junge Obdachlose. 18 Prozent der Obdachlosen sind zwischen 18 und 25 Jahren alt, geschätzt sind es also ungefähr 420 heranwachsende Personen, welche kein Zuhause haben.
Zu minderjährigen Obdachlosen in der Schweiz gibt es gar keine Zahlen. Jörg Dittmann, Leiter der Studie, sagt: «Über noch jüngere Menschen haben wir keine konkreten Zahlen. Aus dem Ausland wissen wir jedoch, dass 60 Prozent der Erwachsenen erstmals im Alter von unter 18 Jahren obdachlos wurden.» Die Forschung geht dabei zusätzlich von einer grossen Dunkelziffer aus.
Definition Obdachlosigkeit
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Der europäische Dachverband der Wohnungslosenhilfe hat den Begriff «Obdachlosigkeit» folgendermassen definiert:
«Als obdachlos werden Menschen ohne eigene Unterkunft bezeichnet, die in Bereichen des öffentlichen Raums leben und schlafen. Diese Menschen, die draussen übernachten, werden als sogenannte «Rough Sleepers» bezeichnet. Als obdachlos gelten zudem Menschen, welche die Nacht in Notschlafstellen und anderen niederschwelligen Einrichtungen verbringen. Als entscheidendes Kriterium gilt hier, dass diese Einrichtungen tagsüber geschlossen und für Betroffene nicht zugänglich sind.»
Überlebenskünstler mit Herz
Einer dieser minderjährigen Obdachlosen war vor vielen Jahren Roger Meier. Er wurde mit gerade mal 17 Jahren das erste Mal obdachlos, als er vor seinem gewalttätigen Pflegevater von Zuhause floh. Fast sein ganzes Leben verbrachte er ab dann immer wieder auf der Strasse.
Mittlerweile ist er über 60 Jahre alt und hat seit rund sechs Jahren einen festen Wohnsitz. Seinen Lebensunterhalt verdient er unter anderem als «Surprise»-Verkäufer und Stadtführer. Auf seinen Touren teilt er seine Erfahrungen und versucht so zurückzugeben, was ihm die unterschiedlichen Institutionen in seiner Zeit als Obdachloser gegeben haben.
Das ist Roger Meier
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Roger Meier war sein Leben lang immer wieder obdachlos, das erste Mal bereits mit 17 Jahren. Die Stadt Bern war sein Zuhause.
Aktuell ist er Stadtführer bei «Surprise» und möchte mit seinen Touren zeigen, dass man mit dem Glauben an sich selbst, einem starken Willen und einer kräftigen Prise Humor in Würde leben kann – auch dann noch, wenn man ganz unten angekommen ist. Roger Meier hat sich nie für sein Leben geschämt. Deshalb spricht er auf seinen Touren offen über seine Vergangenheit.
Das Schicksal von Roger Meier ist kein Einzelfall. In der Schweiz gibt es viele junge Menschen ohne festen Wohnsitz. Die Ursachen dafür sind vielfältig und schwer zu ergründen.
Präventionshilfe
Der ehemalige Obdachlose Roger Meier hat während seiner Jahre auf der Strasse viele junge Obdachlose getroffen und ihnen gezeigt, wie man überlebt. Welche Verhaltensweisen ratsam sind und welche Institutionen helfen können.
Eine unterstützende Rolle spielen dabei Notschlafstellen, die speziell auf junge Menschen ausgerichtet sind. Nebst dem Nemo in Zürich ist dies seit Mai 2022 auch das Pluto in Bern. Diese Notschlafstelle bietet 14- bis 23-Jährigen das ganze Jahr über einen kostenlosen Schlafplatz, eine warme Mahlzeit und Unterstützung an.
Die hohe Auslastung des Plutos zeigt die Dringlichkeit der Problematik. In den ersten sechs Monaten nach der Eröffnung des Plutos wurden 1130 Übernachtungen von 70 unterschiedlichen Nutzenden verbucht.
Laut Mitarbeiterin Christine Blau sind die Gründe, weshalb bereits junge Menschen kein Zuhause haben, vielfältig. Gewalt im Herkunftssystem, beispielsweise der Familie oder auch der Pflegefamilie, sei dabei aber einer der häufigsten Gründe bei den Nutzenden von Pluto. Ähnlich wie das auch beim ehemaligen Obdachlosen Roger Meier vor vielen Jahren der Fall war.
Er wurde handgreiflich und schüttelte mich stark. Ich fühlte mich danach zu Hause nicht mehr sicher.
Auch bei Mia (Name von der Redaktion geändert) war Gewalt der Grund, dass sie die Notschlafstelle Pluto aufgesucht hat: «Ich zog damals in eine WG. Dort hatte ich dann eine Auseinandersetzung mit dem Hauptmieter. Er wurde handgreiflich und schüttelte mich stark. So, dass ich dann die Polizei rufen musste. Ich fühlte mich danach zu Hause nicht mehr sicher und war plötzlich ohne Obdach.»
Mia schlief nach diesem Vorfall rund 1.5 Wochen im Pluto. Zu diesem Zeitpunkt war sie gerade mal 21 Jahre alt. «Das Pluto half mir in einer schwierigen Zeit und gab mir die Sicherheit, welche ich zu dieser Zeit brauchte. So hatte ich einen Schlafplatz und Personen, welche mich unterstützten.» Auch heute kommt Mia immer mal wieder auf Besuch ins Pluto. Die Mitarbeitenden helfen ihr beispielsweise bei der Suche für passende Sozialangebote oder einer Wohnung.
Notschlafstelle Pluto
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Die Notschlafstelle Pluto in Bern ist eine Anlaufstelle für Personen zwischen 14 und 23 Jahren. Hier finden sie kostenlos Obdach, Schutz und Sicherheit. Die Notschlafstelle verfügt insgesamt über sieben Schlafplätze und ist jede Nacht von 18:00 bis 9:00 Uhr geöffnet. Neben einem Schlafplatz erhalten die Besuchenden auch Sozialberatung durch Fachpersonen.
Plutoist ein Pilotprojekt, welches auf drei Jahre ausgelegt ist. Gestartet hat es im Mai 2022.
Aber nicht immer ist Gewalt die Ursache, dass junge Menschen auf der Strasse landen. Andere Gründe sind beispielsweise Konsum-, Sucht- oder Drogenprobleme. Oft sind Jugendliche auch mit dem System überfordert und finden ihren passenden Platz in der Gesellschaft nicht. Sie sind mit ihrem Leben und der Situation überfordert und landen auf der Strasse.
Zudem dürfen Jugendheime Personen meist nur bis zum 18. Lebensjahr betreuen, viele Betroffene haben danach keine passende Anschlusslösung und werden aus diesem Grund obdachlos.
Jede Person darf hier übernachten und kann mit uns eine Anschlusslösung suchen.
Pluto agiert präventiv, indem sie helfen, bevor es zu spät ist: «Wir arbeiten sehr niederschwellig. Jede Person darf hier übernachten und zusammen mit ihr suchen wir eine passende Anschlusslösung. Wenn eine Person einen Schlafplatz braucht, muss sie uns aber nur so viel erzählen wie sie will. Durch unser Angebot leisten wir einen wichtigen Schritt in der Präventionsarbeit», so Christine Blau.
Hilfsangebote für Jugendliche und Eltern
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Für Kinder und Jugendlichen sowie deren Eltern, welche Unterstützung brauche, gibt es viele Beratungs- und Unterstützungsstellen. Hier finden Sie einigen direkten Adressen:
Rêves sûrs: Der Verein hilft jungen Menschen in Notsituationen und vertritt die Interessen dieser Personengruppen. Er gründete auch die Notschlafstelle Pluto.
147: Unterstützt junge Menschen, wenn sie kleine oder grosse Sorgen, Probleme oder Fragen haben und bietet Beratungsangebote an.
Eltern Notruf: Berät bei Fragen zur Erziehung und Entwicklung der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen – auch in kritischen Momenten, bei Konflikten oder bei Krisen.
Kinderschutz Schweiz: Die Stiftung will, dass alle Kinder geschützt und gefördert sind und setzt sich dafür ein. Sie hat auch eine Melde- und Beratungsstelle.
KESB: Die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde hat die gesetzliche Aufgabe, den Schutz von gefährdeten Kindern und Erwachsenen sicherzustellen.
Heilsarmee: Die Heilsarmee bietet Sozialberatungsstellen, Passantenhilfen und weiteren Anlaufstellen. Dort erhalten unter anderem Menschen in einer Obdachlosigkeit konkrete Hilfestellungen.
Wie viele Personen in der Schweiz wirklich obdachlos sind, dazu wurde bis jetzt wenig geforscht. Erst in den letzten Jahren hat die Forschung bewusst ihren Fokus darauf verstärkt. Gemäss Jörg Dittmann wird sich die zukünftige Forschung auch auf die jungen Obdachlosen konzentrieren: «In den nächsten drei Jahren wollen wir mehr über junge Obdachlose herausfinden. Der Schweizer Nationalfonds hat uns dafür die finanzielle Grundlage gegeben. Konkret wollen wir den Ursachen für diese Problematik auf den Grund gehen.»
Durch dieses Projekt will das Forschungsteam, den betroffenen Menschen helfen und zu einer Verbesserung deren Lebenssituation beitragen – bei einer Problematik, welche auch bei uns in der Schweiz prekär ist und jede Person treffen kann.
Aktion «2 x Weihnachten»
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Bei der Aktion «2 x Weihnachten» unterstützt die SRG SSR armutsbetroffene Menschen.
Die 27. Auflage von «2 x Weihnachten» findet vom 24. Dezember 2023 bis 11. Januar 2024 statt. Während der Aktion kann man sein Paket mit dem Vermerk «2xWeihnachten» an jedem Postschalter abgeben und es wird kostenlos zum Schweizerischen Roten Kreuz transportiert.
«2 x Weihnachten» ist eine gemeinsame Aktion vom Schweizerischem Roten Kreuz, der Post, SRG SSR sowie von Coop.
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