Grüessech, Grüezi, Hallo, Hoi oder Salü? Beim Wandern zeigt sich die Schweizer Dialektvielfalt in einem einzigen Wort. In welcher Region wie gegrüsst wird und ob es Unterschiede zwischen der älteren Generation (Jahrgänge 1940–1960) und der jüngeren (1985–2002) gibt, haben Forschende der Universität Bern im Jahr 2020 untersucht. Erforscht wurde auch, wo der Chef noch gesiezt wird, wer sich nach dem Niesen entschuldigt, wer sich beim Verlassen des Busses beim Busfahrer bedankt und weitere Themen.
Kennen Sie die «Grüezi-Grenze»? Die imaginäre Linie, die sich irgendwo durch die Agglomerationen dieses Landes zieht. Ausserhalb – auf dem Land – wird jede einzelne Person gegrüsst; innerhalb – in der Stadt – nicht.
Beim Wandern ist klar: Es wird gegrüsst. Aber wie? Auf der Karte deutlich zu sehen ist der bekannte Ost-West-Gegensatz: «Grüezi» im Zentrum und im Osten, «Grüessech» im Westen. Auch bei den jüngeren Sprecherinnen und Sprechern ist dieser Gegensatz sehr stabil.
Interessant ist die Entwicklung in einigen Bergregionen, allen voran im Wallis: Während die ältere Generation regional verschiedene Grussformeln wie «Hallo», «Güeten Aabu» oder «Güete Tag» kennt, hat sich in der jüngeren Generation «Tagwohl» durchgesetzt. Ein Anzeichen für ein einheitlicheres junges Walliserdeutsch?
Bis vor einigen Jahrzehnten war «guet(e) Tag» in weiten Teilen der Deutschschweiz der übliche Gruss zwischen 7 und 8 Uhr morgens. Das zeigen die Erhebungen des «Sprachatlas der deutschen Schweiz» aus den 1940/50er-Jahren. Ein möglicher Grund: In gewissen Regionen wurde früher nur die Zeit bis zum Sonnenaufgang als «Morge» bezeichnet. «Guete Morge» war damals lediglich in der Zentralschweiz sowie in Teilen der Nord- und der Ostschweiz gebräuchlich.
Mittlerweile «dauert» der Morgen für die meisten länger. Wohl auch darum hat sich «guete Morge» stark ausgebreitet – unter den jüngeren Befragten ist «guet(e) Tag» (zwischen 7 und 8 Uhr morgens!) kaum mehr zu hören. Ausnahmen bilden Schiers GR und Rheinwald GR.
Interessant ist, dass ein Teil der jüngeren Befragten nur «Morge» sagt, ohne «guete» davor. Das dürfte ein Zeichen dafür sein, dass die jüngere Generation kürzere Grussformeln bevorzugt als die ältere.
Auch zwischen 14 und 15 Uhr ist man sich nicht über die passende Grussformel einig. Und auch hier hat in einigen Regionen eine Verschiebung der Tageszeit-Bezeichnungen stattgefunden.
Bis ins 20. Jahrhundert begann der «Abend» in weiten Teilen der westlichen und der östlichen Deutschschweiz bereits um 12 Uhr. Daher wurde damals zwischen 14 und 15 Uhr vielerorts mit «Gueten Oobe», «Gueten Aabe», «Güeten Aabunt» oder ähnlich gegrüsst, etwa in der Nordwestschweiz, in den Bündner Walsergebieten oder im Wallis.
Bis heute überlebt hat dieser «Abend»-Gruss am Nachmittag nur im Wallis – dort allerdings auch bei der jungen Generation. Ebenfalls abgenommen hat, auch zu dieser Tageszeit, der Gruss «guet(e) Tag», der vor allem in der Zentralschweiz üblich war.
Ausgedehnt hat sich hingegen «Grüezi». Ursprünglich nur von den Kantonen Aargau, Zürich und Glarus an östlich gebräuchlich, grüsst man heute auch in der Zentralschweiz und in der Nordwestschweiz mit «Grüezi», besonders die jüngere Generation.
Sagen Sie «Ade, merci!» oder ähnlich, wenn Sie aus dem Bus steigen? Dann gehören Sie zu einer Minderheit und kommen wohl vom Land. Auch wenn das Bild nicht ganz eindeutig ist, bedankt man sich offenbar in ländlichen Regionen eher als in städtischen.
Mögliche Gründe dafür gibt es einige: In der Stadt sind die Busse oft voll – ein Kontakt zum Fahrer oder zur Fahrerin ist schwierig. Auf dem Land hingegen sitzt man auch mal (fast) alleine im Bus. In so einer Situation wäre es wohl komisch, einfach grusslos aus dem Bus zu steigen. Ganz allgemein grüsst man je mehr, desto dünner die Besiedlung ist. Und auf Buslinien in Randregionen kennen sich Fahrerin und Passagiere oft persönlich.
Interessanterweise zeigt die Untersuchung – abgesehen von kleineren regionalen Verschiebungen – keine Generationenunterschiede.
Die Verabschiedung in einem Geschäft, zum Beispiel einer Bank, scheint generationenabhängig zu sein. Während die älteren Befragten zwischen «uf Widerluege», «uf Widerseä» o.ä. und «ade/adieu» geteilt sind, bevorzugen die allermeisten jüngeren Befragten das kürzere, informellere «ade/adieu».
Das liegt wohl zum einen am Prinzip der Sprachökonomie (wir wollen grundsätzlich mit möglichst wenig Aufwand kommunizieren) und zum anderen daran, dass Höflichkeit und Förmlichkeit für jüngere Menschen eher weniger wichtig ist als für ältere Menschen: Wo eine «Ehrerbietung» in Form des aufwändigeren «uf Widerluege» nicht als nötig erachtet wird, reicht auch das kurze «ade».
Ausserdem lässt «ade» eher offen, ob man das Gegenüber duzt oder siezt. Gerade im Kontakt mit gleichaltrigen oder jüngeren Angestellten kann diese Vagheit für jüngere Kundinnen und Kunden willkommen sein.
Die Untersuchung der Universität Bern zeigt, dass unter den jüngeren Befragten deutlich mehr ihre Vorgesetzten duzen als unter den älteren Befragten.
Das hat wohl unter anderem damit zu tun, dass in den letzten Jahren und Jahrzehnten in vielen Unternehmen das generelle Duzen eingeführt wurde, so etwa auch bei SRF. Von den älteren Befragten, die zwischen 1940 und 1960 geboren wurden, dürften viele nicht mehr arbeitstätig sein. Das heisst: Sie wurden pensioniert, bevor in ihrer Firma Vorgesetzte geduzt wurden.
Auffällig ist, dass die meisten der Gebiete, in denen die Befragten angaben, ihre Vorgesetzten zu siezen, ländlich und eher konservativ sind. Das passt zum Bild, dass Konservativen Hierarchien und Förmlichkeit wichtiger sind als Progressiven.
Es gibt offenbar klare Generationsunterschiede in der Art, wie ein Anruf beantwortet wird: Während die meisten älteren Befragten nur ihren Nachnamen sagen, nehmen bei den jüngeren ähnlich viele das Telefon ab mit der Nennung von Vor- und Nachnamen.
Ein Grund für diesen Unterschied mag sein, dass die ältere Generation mehr Wert auf die Familienzugehörigkeit legt (deshalb reicht der Nachname), während die jüngere Generation Individualität höher gewichtet (und darum auch den Vornamen nennt).
Ausserdem sind die älteren Befragten mit einem einzigen Telefon im Haushalt aufgewachsen. Der Anschluss galt für die ganze Familie, weshalb die Nennung des Nachnamens vielleicht passender schien als die von Vor- und Nachnamen. Diese Prägung ist bei den jüngeren Befragten sicherlich schwächer – sie besassen schon viel früher im Leben ein eigenes Mobiltelefon.
Entschuldigen Sie sich, nachdem Sie geniest haben? Die Deutschschweiz ist sich darüber uneins. Und wie beim Telefongruss ist auch hier kaum ein räumliches Muster zu erkennen. Das Forschungsteam der Universität Bern hat aus den Daten aber herausgelesen, dass sich die Befragten aus den Kantonen Bern, Freiburg und Wallis eher entschuldigen als diejenigen aus dem Rest der Deutschschweiz.
Über die Gründe kann nur spekuliert werden. Vielleicht werden in diesen Gebieten Höflichkeitsfloskeln und Zurückhaltung höher gewichtet als ausserhalb. Für den sichtbaren Generationenunterschied – Ältere entschuldigen sich deutlich eher als Jüngere – dürfte dies der Hauptgrund sein. Das stützen auch die beiden Karten zum Siezen von Vorgesetzten und zur Verabschiedung in der Bank.
Daraus kann man aber nicht zwingend schliessen, dass die jüngere Generation unhöflicher wäre als die ältere – eher hat sie ein anderes Verständnis davon, wie Höflichkeit (sprachlich) ausgedrückt wird.