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Warum Schweizer einen Hochdeutsch-Komplex haben
Aus Dini Mundart vom 28.11.2024.
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Reden wir «gutes Deutsch»? Warum Schweizer einen Hochdeutsch-Komplex haben

Viele Schweizerinnen und Schweizer schämen sich für ihr Hochdeutsch. Grund dafür ist die unterschiedliche Bewertung von Schweizerhochdeutsch und Bundesdeutsch. Dabei könnte es auch anders sein.

Viele Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer finden, sie sprächen kein sauberes, schönes, gutes Hochdeutsch. Das wirft natürlich die Frage auf: Was ist ein sauberes, schönes oder gutes Hochdeutsch?

Das Hochdeutsch, wie es in weiten Teilen Deutschlands gesprochen wird, das sogenannte Bundesdeutsch, gilt vielen als Vorbild – wer einen regionalen Akzent, einen dialektalen Einschlag hat, «kann nicht richtig Hochdeutsch».

Komiker Emil Steinberger sitzt auf einem Stuhl und blickt erstaunt rein
Legende: Kabarettist Emil Steinberger trat in Deutschland mit einem sehr schweizerischen Hochdeutsch auf. So schweizerisch, dass viele Deutsche meinten, es sei Schweizerdeutsch. SRF/ Oscar Alessio

Diese Meinung ist in Deutschland allgegenwärtig (auch wenn viele Deutsche ebenfalls einen regionalen Akzent in ihrem Hochdeutsch haben), aber auch in der Deutschschweiz teilen viele diese Ansicht. Wir haben einen regelrechten Hochdeutsch-Komplex.

Es gibt nicht nur ein Hochdeutsch

Dabei ist das Schweizerhochdeutsch genauso gut, schön, richtig wie Bundesdeutsch – was immer diese Adjektive bedeuten sollen.

Denn Deutsch ist eine sogenannt plurizentrische Sprache. Das heisst, dass die deutsche Standardsprache in verschiedenen Regionen unterschiedliche Ausprägungen hat: Neben Bundesdeutsch gibt es auch ein österreichisches, ein luxemburgisches oder ein belgisches Hochdeutsch.

Schweizerhochdeutsch ist gleichwertig

Und eben das Schweizerhochdeutsch. Alle diese sogenannten Standardvarietäten unterscheiden sich leicht – im Wortschatz, in der Grammatik, und vor allem im Klang.

Helvetismen: gleichwertige schweizerische Eigenheiten

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Das Schweizerhochdeutsch kennt viele Eigenheiten – diese werden Helvetismen genannt. Hier ein paar Beispiele aus verschiedenen Bereichen der Sprache. Am auffälligsten sind sicher die Unterschiede in der Aussprache.

Wortschatz

  • Zucchetti vs. Zucchini
  • Camion vs. Lastwagen
  • ringhörig vs. schalldurchlässig

Grammatik

  • ich habe kalt (auch belgisch) vs. mir ist kalt
  • das E-Mail, das Tram, das Tunell (z.T. auch österreichisch) vs. die E-Mail, die Tram/Strassenbahn, der Tunnel
  • grillieren/parkieren vs. grillen/parken
  • Zugsverkehr vs. Zugverkehr
  • schön, bist du gekommen vs. schön, dass du gekommen bist

Rechtschreibung

  • keine Verwendung des Eszett, stattdessen immer «ss»
  • Bretzel, Müesli vs. Brezel, Müsli
  • Genfersee vs. Genfer See

Aussprache

  • -ig (König, lustig, fertig) wird immer -ig und nie -ich ausgesprochen
  • «chs» wird als «ch-s» und nicht als «x» ausgesprochen: Dachs, Fuchs vs. Dax, Fux
  • Doppelt geschriebene Konsonanten werden meist lang ausgesprochen: immer, Bagger, Affe vs. ima, Baga, Afe
  • «-er» und «-en» werden konsequent ausgesprochen: Vaater, fahren vs. Vaata, fahn
  • Fremdwörter und Abkürzungen werden viel öfter auf der ersten Silbe betont: Ásphalt, Búdget, Gárage, Lábor, Éffdeepee vs. Asphált, Budgét, Garáge, Labór, Effdeepéé

Aus sprachwissenschaftlicher Sicht sind sie vollkommen gleichwertig. Aber in der Wahrnehmung vieler Deutschsprachiger scheint es da eine Hierarchie zu geben.

Bundesdeutsch ist der Normalfall

Warum finden viele, Bundesdeutsch sei besseres Deutsch als Schweizerhochdeutsch? Das hat mehrere Gründe.

Einer ist, dass Deutschland das mit Abstand grösste deutschsprachige Land ist. Die meisten deutschsprachigen Inhalte – Medienberichte, Bücher, Lieder und vieles mehr – kommen aus Deutschland. Bundesdeutsch ist also allgemein gesehen der Normalfall, Schweizerhochdeutsch oder österreichisches Hochdeutsch die Ausnahmen. Das kann zu der falschen Annahme führen, diese Ausnahmen seien weniger richtig.

Nur wenig Übung

Zudem haben die meisten Schweizerinnen und Schweizer nur sehr wenig Übung darin, Hochdeutsch zu sprechen. Das geschieht vor allem in der Schule – und auch da wird sofort zum Schweizerdeutschen gewechselt, sobald vom Frontalunterricht in eine Gruppenarbeit gewechselt wird.

In Deutschland hingegen ist Hochdeutsch für die allermeisten die Alltags- und Umgangssprache. Kein Wunder, sind sie gewandter und schneller im Hochdeutschsprechen als wir. Und kein Wunder schämen sich viele Schweizerinnen und Schweizer für ihr Hochdeutsch.

Der Komplex müsste nicht sein

Unser Hochdeutsch-Komplex lässt sich also folgendermassen zusammenfassen: Obwohl (Schweizer)Hochdeutsch unsere Schreib- und Unterrichtssprache, unsere Medien- und Literatursprache ist, finden viele, sie könnten nicht richtig Hochdeutsch. Einige bezeichnen Hochdeutsch gar als «halbe Fremdsprache». Dabei wäre dieses Fremdeln mit der Standardsprache gar nicht nötig.

Junge können besser Bundesdeutsch – Komplex ade?

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Gesprochenes Bundesdeutsch ist bei jungen Deutschschweizerinnen und Deutschschweizern viel präsenter als bei älteren Generationen.

Das hat zum einen mit der Allgegenwart von bundesdeutschen Rappern, Influencerinnen und Youtubern in ihren Social-Media-Timelines zu tun, zum anderen mit der starken Zuwanderung aus Deutschland in den letzten Jahrzehnten – viele Deutschschweizer Kinder und Jugendliche haben bundesdeutschsprachige Freundinnen und Freunde.

Durch dieses stärkere «Dem-Bundesdeutschen-ausgesetzt-sein» lernen viele junge Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer auch (ziemlich) bundesdeutsches Hochdeutsch zu sprechen – als weiteres Register neben einem klar schweizerischen, dialektal stärker gefärbten Hochdeutsch.

Wird der Komplex überwunden?

Es ist denkbar, dass die Scheu vor dem Hochdeutschen dadurch abnehmen wird – weil man sich den Deutschen sprachlich ebenbürtiger fühlt.

Ob aber der Schweizer Hochdeutsch-Komplex damit bald Geschichte sein wird, bleibt aber offen. Denn die wachsende Bundesdeutsch-Kompetenz der Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer könnte auch dazu führen, dass Schweizerhochdeutsch eher noch weiter abgewertet wird – als die Sprache der Hinterwäldlerinnen und Ungebildeten. Eine Prognose ist schwierig.

Es bräuchte einfach etwas mehr Selbstsicherheit, um stolz zur Schweizer Ausprägung von Hochdeutsch zu stehen. Das ist unsere Standardsprache, mit dem charmanten schweizerdeutschen Einfluss. Ist doch egal, wenn man uns anmerkt, dass wir aus der Schweiz kommen – das tut man bei den Deutschen schliesslich auch.

Radio SRF 1, Dini Mundart, 29.11.2024, 9:40 Uhr

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