Viele Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer finden, sie sprächen kein sauberes, schönes, gutes Hochdeutsch. Das wirft natürlich die Frage auf: Was ist ein sauberes, schönes oder gutes Hochdeutsch?
Das Hochdeutsch, wie es in weiten Teilen Deutschlands gesprochen wird, das sogenannte Bundesdeutsch, gilt vielen als Vorbild – wer einen regionalen Akzent, einen dialektalen Einschlag hat, «kann nicht richtig Hochdeutsch».
Diese Meinung ist in Deutschland allgegenwärtig (auch wenn viele Deutsche ebenfalls einen regionalen Akzent in ihrem Hochdeutsch haben), aber auch in der Deutschschweiz teilen viele diese Ansicht. Wir haben einen regelrechten Hochdeutsch-Komplex.
Es gibt nicht nur ein Hochdeutsch
Dabei ist das Schweizerhochdeutsch genauso gut, schön, richtig wie Bundesdeutsch – was immer diese Adjektive bedeuten sollen.
Denn Deutsch ist eine sogenannt plurizentrische Sprache. Das heisst, dass die deutsche Standardsprache in verschiedenen Regionen unterschiedliche Ausprägungen hat: Neben Bundesdeutsch gibt es auch ein österreichisches, ein luxemburgisches oder ein belgisches Hochdeutsch.
Schweizerhochdeutsch ist gleichwertig
Und eben das Schweizerhochdeutsch. Alle diese sogenannten Standardvarietäten unterscheiden sich leicht – im Wortschatz, in der Grammatik, und vor allem im Klang.
Aus sprachwissenschaftlicher Sicht sind sie vollkommen gleichwertig. Aber in der Wahrnehmung vieler Deutschsprachiger scheint es da eine Hierarchie zu geben.
Bundesdeutsch ist der Normalfall
Warum finden viele, Bundesdeutsch sei besseres Deutsch als Schweizerhochdeutsch? Das hat mehrere Gründe.
Einer ist, dass Deutschland das mit Abstand grösste deutschsprachige Land ist. Die meisten deutschsprachigen Inhalte – Medienberichte, Bücher, Lieder und vieles mehr – kommen aus Deutschland. Bundesdeutsch ist also allgemein gesehen der Normalfall, Schweizerhochdeutsch oder österreichisches Hochdeutsch die Ausnahmen. Das kann zu der falschen Annahme führen, diese Ausnahmen seien weniger richtig.
Nur wenig Übung
Zudem haben die meisten Schweizerinnen und Schweizer nur sehr wenig Übung darin, Hochdeutsch zu sprechen. Das geschieht vor allem in der Schule – und auch da wird sofort zum Schweizerdeutschen gewechselt, sobald vom Frontalunterricht in eine Gruppenarbeit gewechselt wird.
In Deutschland hingegen ist Hochdeutsch für die allermeisten die Alltags- und Umgangssprache. Kein Wunder, sind sie gewandter und schneller im Hochdeutschsprechen als wir. Und kein Wunder schämen sich viele Schweizerinnen und Schweizer für ihr Hochdeutsch.
Der Komplex müsste nicht sein
Unser Hochdeutsch-Komplex lässt sich also folgendermassen zusammenfassen: Obwohl (Schweizer)Hochdeutsch unsere Schreib- und Unterrichtssprache, unsere Medien- und Literatursprache ist, finden viele, sie könnten nicht richtig Hochdeutsch. Einige bezeichnen Hochdeutsch gar als «halbe Fremdsprache». Dabei wäre dieses Fremdeln mit der Standardsprache gar nicht nötig.
Es bräuchte einfach etwas mehr Selbstsicherheit, um stolz zur Schweizer Ausprägung von Hochdeutsch zu stehen. Das ist unsere Standardsprache, mit dem charmanten schweizerdeutschen Einfluss. Ist doch egal, wenn man uns anmerkt, dass wir aus der Schweiz kommen – das tut man bei den Deutschen schliesslich auch.