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Neues Zeitalter Die Schweiz rüstet sich für den selbstfahrenden Verkehr

Automatisierte Fahrzeuge erhalten ab März auf Schweizer Strassen grünes Licht. Was bedeutet das?

Nach jahrelangen Testversuchen hat sich der Bund dazu entschieden, selbstfahrende Fahrzeuge auf den Strassen zuzulassen – unter bestimmten Bedingungen.

Die Stufen des autonomen Fahrens

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Piktogramm auf Asphalt von Bus mit Scanlinien, die zeigen, dass es sich um eine Autonome Busslinie handelt.
Legende: Keystone/Cyril Zingaro

SAE International, eine US-amerikanische Organisation, die technische Standards erarbeitet, hat eine Taxonomie entwickelt, um Automatisierungssysteme in Fahrzeugen zu beschreiben.

  • Stufe 0: Systeme, die den Lenkerinnen und Lenkern durch Warnsysteme oder automatische Notbremsungen unterstützen, ihn aber nicht ablösen.
  • Stufe 1: Systeme, die bei der Lenkung oder bei Geschwindigkeit und Bremsen unterstützen. Sie lösen den Menschen nicht ab.
  • Stufe 2: Funktionen, die den Menschen, der am Steuer verbleibt, gleichzeitig Unterstützung bei der Lenkung und bei Geschwindigkeit und Bremsen bieten (Teilautomatisierung).
  • Stufe 3: Automatisiertes Fahren unter eingeschränkten Bedingungen. Fahrerinnen und Fahrer müssen bereit sein, die Kontrolle zu übernehmen, wenn sie dazu aufgefordert werden.
  • Stufe 4: Vollständig autonomes Fahren ohne menschliches Zutun, aber nur in zugelassenen Bereichen und mit menschlicher Fernüberwachung.
  • Stufe 5: Das Fahrzeug ist völlig autonom und fährt selbstständig ohne menschliche Hilfe.

Die Schweiz ist eines unter vielen Ländern, das Pilotprojekte und Aktualisierungen der Gesetzgebungen für autonomes Fahren der Stufe drei und vier vornimmt.

Was ändert sich auf Schweizer Strassen?

Ab dem 1. März 2025 können Autos auf Schweizer Autobahnen mit Fahrassistenzsystemen fahren, die das Lenken, die Geschwindigkeit und das Bremsen autonom kontrollieren können. Lenkerinnen und Lenker müssen jedoch immer in der Lage sein, eingreifen zu können (Stufe 3).

Die Kantone dürfen ausserdem bestimmte Strecken für vollständig selbstfahrende Autos genehmigen. In der Regel werden dies Busse, Taxis oder Lieferwagen sein, die von einem Kontrollzentrum aus fernüberwacht werden.

Vor- und Nachteile des autonomen Verkehrs

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«Automatisierte Fahrzeuge werden den Strassenverkehr sicherer machen, den Verkehrsfluss verbessern und eine effizientere Nutzung der verfügbaren Kapazitäten ermöglichen», heisst es im Bericht «Verkehr der Zukunft 2060». Diesen hatte das Verkehrsministerium 2020 veröffentlicht.

Selbstfahrende Fahrzeuge könnten neben dem privaten auch den öffentlichen Verkehr verbessern. Dies insbesondere in abgelegenen Gebieten, indem sie Shuttle-Dienste zu und von Bahnhöfen anbieten, so der Bericht.

Ausserdem hofft man, dass der Einsatz von automatisierten Fahrsystemen die Zahl der durch menschliches Versagen verursachten Verkehrsunfälle verringern wird.

Der Bericht weist aber auch auf einige wahrscheinliche Nachteile hin. «Automatisierte Fahrzeuge werden den Bedarf an Fahrern von Lastkraftwagen, Bussen und Taxis verringern, wenn auch nicht ganz abschaffen», heisst es im Bericht Transport of the Future. Auch könne der erwünschte Effekt der Förderung von Fahrgemeinschaften sich negativ auf den Autoverkauf auswirken, da die Zahl der Fahrzeuge auf der Strasse sinkt.

Nicht nur beim Fahren, sondern auch beim Parkieren sind nun Veränderungen möglich. In gewissen ausgewiesenen Parkplätzen können beispielsweise Fahrzeuge ohne menschliche Beihilfe selbst parkieren.

Noch viel zu lernen

Für die Entwicklung des selbstfahrenden Verkehrs steht für die Schweiz noch einiges an Arbeit bevor, meint Bettina Zahnd. Sie ist Leiterin der Abteilung für Strassen­verkehrs­sicher­heit bei der Beratungsgruppe EBP Schweiz. Die neue Verordnung «öffnet den Weg für fortgeschrittenere Pilotprojekte mit echten automatisierten Fahrzeugen, um Erfahrungen darüber zu sammeln, wie sie sich in die Topografie, die Strassen, die Beschilderung und den Verkehrsfluss in der Schweiz einfügen», sagt sie.

Dabei habe die Schweiz andere Prioritäten als andere Länder, bemerkt Martin Neubauer. Er ist leitender Stratege beim Schweizerischen Verband für automatisierte Mobilität (VSV): «Der Fokus liegt weniger auf Ride-Hailing-Taxis wie in San Francisco, sondern auf Ride-Sharing-Fahrzeugen, die so viele Fahrgäste wie möglich mitnehmen», sagte er.

Werden fahrerlose Autos bald Norm?

Es wird noch viele Jahre dauern, bis Autos ohne menschlichen Fahrer alltäglich werden oder die Zahl der konventionellen Fahrzeuge zu überholen.

«Bis 2030 könnten wir etwa 100 autonome Fahrzeuge der Stufe 4 auf öffentlichen Schweizer Strassen haben», sagt Neubauer voraus. «Bis 2035 könnte sich diese Zahl auf einige tausend Fahrzeuge erhöhen. Vollständig autonome Fahrzeuge der Stufe 5 werden wir wahrscheinlich frühestens 2035 sehen.»

Rundlicher roter Kleinbus mit einigen Personen die vor den offenen Türen stehen.
Legende: Pilotprojekt in Bern Zwei selbstfahrende Kleinbusse befahren in Bern die Quartiere Matte und Marzili. Keystone/Alessandro Della Valle

Das liegt zum einen daran, dass wir noch viel über die Auswirkungen dieser Technologie auf die Strassen lernen müssen, bevor man in der Autoindustrie bereit ist, viel auf automatisierte Autos zu setzen.

Zum anderen kommt es auf die öffentliche Akzeptanz von autonomen Fahrzeugen an. Eine von EBP im Auftrag des schweizerischen Verbands für Telekommunikation durchgeführte Umfrage ergab 2017, dass Systeme, die den Fahrer unterstützen, in der Bevölkerung allgemein akzeptiert werden. Jedoch sah die überwältigende Mehrheit der Befragten keinen Sinn in selbstfahrenden Autos.

Einordnung von Technologie-Redaktor Reto Widmer

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Kommen jetzt die selbst fahrenden Busse und Taxis?

Die Anpassung im Strassenverkehrsrecht ermöglicht Pilotprojekte, die aus dem «Pilot-Stadium» herauswachsen können. Sie sind näher an der Realität und am Alltag, als die selbst fahrenden Shuttles der letzten Jahre. Diese fuhren im Schritt-Tempo, leiteten wegen Laub auf der Strasse eine Vollbremsung ein und mussten immer eine Kontrollperson an Bord haben. Die Frage nach den Vorteilen und möglichen Geschäftsmodellen solcher Vehikel hat sich nie wirklich gestellt.  

Das ändert sich nun: Im zürcherischen Furttal etwa werden schon dieses Jahr eine Handvoll automatisierter, Fahrzeuge ohne Fahrer die Lücke zwischen Heim und S-Bahnhöfen füllen. Vorerst auch als Pilotprojekt, aber die Chancen für einen anschliessenden Dauerbetrieb stehen gut: Die Technologie ist mittlerweile so gereift, dass nicht mehr die Frage der technischen Machbarkeit im Vordergrund steht. Der Fokus liegt darauf, auszuprobieren, mit welchen Angeboten die Leute die Robotertaxis nutzen. Auch kann man untersuchen, wie die Akzeptanz gefördert werden kann und wie sich die Fahrzeuge in den bestehenden öffentlichen Verkehr optimal einbinden lassen.

Im Idealfall ergänzen automatisierte Fahrzeuge das bestehende ÖV-Angebot. Sie sind (auch) in der SBB-App integriert und Bestandteil der Tarifstruktur, also beispielsweise mit dem GA benutzbar. Wenn das gelingt, werden Busse ohne Fahrpersonal schon in zehn Jahren in einigen Regionen zum gewohnten Strassenbild gehören. Die Technologie ist da und der Gesetzgeber war – für einmal – der technologischen Entwicklung einen Schritt voraus. Beste Voraussetzungen, den ÖV nicht komplett neu, aber teilweise innovativ zu überdenken.

Reto Widmer

Redaktor SRF Digital

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Reto Widmer erklärt seit 2006 als Technologie-Korrespondent die digitale Welt und ordnet Digitalisierungs-Vorgänge ein. Zuvor war er als selbständiger Webentwickler unterwegs und unterrichtete «Internet» an einer grossen Computerschule. Sein erster Computer war ein Atari ST, der bei seinem Grossvater stand. Seit dieser Begegnung ist er dem Computervirus verfallen, hat selber bis heute zum Glück aber noch nie einen eingefangen.

Radio SRF 1, Treffpunkt, 26.02.2025, 10:00 Uhr

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