Grüne und gelb-rote Basler Trams machen etwa ein Drittel des Trambestands Belgrads aus. Auch in Sofia, der Hauptstadt Bulgariens, fährt mit der «Guggumere» ein Tram, das am Rheinknie alle kannten, und in der ukrainischen Stadt Winnyzja fahren blaue Zürcher Trams der Typen Mirage, Karpfen und Tram 2000.
Die Lokalbevölkerung ist begeistert. Sie nennt sie liebevoll «Schweizarsky Tramway».
Zürcher Trams in Winnyzja/Ukraine:
Und der nächste grosse Export von Schweizer Occasion-Trams ist bereits angekündigt. Rote Berner Trams fahren schon bald auf den Geleisen der ukrainischen Stadt Lemberg.
Einer, der weiss, wie so ein Tramhandel abläuft, ist Martin Häfliger. Der Konsulent hat seit 2001 alle Tramexporte begleitet, an denen das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) beteiligt war. Sie sind Teil des Stadtentwicklungs- und Infrastrukturprogramms.
Schweizer Tram-Entwicklungshilfe
«Die Berner Trams sind eigentlich erst 30-jährig», betont Häfliger. «Sie waren seinerzeit die ersten Niederflurtrams. Doch ihre Türen entsprechen nicht der Norm des neuen Behindertengleichstellungsgesetzes. Dessen Übergangsfrist ist zum Jahreswechsel abgelaufen. Der Wagenpark muss deshalb zügig ersetzt werden.»
Ich würde es als Recycling bezeichnen.
Ist es also eine Altlasten-Entsorgung? «Ich würde es als Recycling bezeichnen», sagt Häfliger. Es sei ökologisch sinnvoll, das betriebsfähige Material weiterzuverwenden. Für Lemberg werde es die Situation verbessern. Eine Win-win-Situation also? «In der Entwicklungszusammenarbeit muss vor allem das Zielland profitieren», so Häfliger.
«Die Lieferung der elf Occasion-Trams mit Spezialtransporten nach Osteuropa ist kostspielig. Pro Fahrzeug sind es rund 40'000 Franken», weiss Häfliger. «Diese Transport- und auch die Ausbildungskosten für das lokale Personal übernimmt das Seco. Für den Schweizer Verkehrsbetrieb ist das Projekt kostenneutral.»
Die grösste Herausforderung sei die Infrastruktur des Zielortes. Häfliger überprüft im Vorfeld die Machbarkeit. Die Anekdoten aber, die ihn heute zum Lachen bringen, sind Erinnerungen an Missgeschicke.
Auf der Fahrt nach Belgrad haben wir ein Basler Tram verloren.
Die Trams wurden auf Bahnwagen transportiert. «Wir haben zwei Wochen danach gesucht. Alle Bahnhöfe Ungarns wurden kontaktiert. Und tatsächlich stand auf einem Abstellgleis ein einsames, grünes Tram. Der Bahnwagen habe einen Defekt gehabt. Das Tram war noch ganz.»
Faszination Schweizer Bahnen im Ausland
Für Begeisterung sorgen die ehemaligen Schweizer ÖV-Transportmittel aber nicht nur in der neuen Heimat, sondern auch in der alten. Cyrill Seifert reist seit seiner Jugend um den Globus auf der Suche nach Zügen, Trams und Trolleybussen, die einst in der Schweiz unterwegs waren. «Es ist halt ein Stück Heimat. Sie wiederzusehen, hat einen besonderen Reiz.»
Seifert führt Buch, wo auf der Welt sich welches Triebfahrzeug befindet, das einst in der Schweiz gefahren ist. «Die Waldenburgerbahn fährt heute in der Slowakei. In Rumänien kann man mit Wagen fahren, auf welchen noch 'Kleine Scheidegg' angeschrieben steht. Das orange Trogenerbähnli? Das fährt heute im Südtirol.» Über 500 Einträge lang ist seine Excel-Liste. Von den meisten hat er auch Fotografien.
Das Flair ist noch wie früher in der Schweiz.
Nicht aber von den Schweizer Fahrzeugen in Nordkorea. «In Pjöngjang verkehren ehemalige Zürcher Trams, die 1994 ausgemustert wurden.» Bei diesem Deal sei das Seco nicht involviert gewesen, betont Konsulent Häfliger. «Leider», erinnert sich Bahnfan Seifert, «durfte ich die Trams, als ich dort war, nicht fotografieren. Die Linie wird vom Militär betrieben.»
Ganz anders sei die Situation in Belgrad. Wer sich im ausländischen Stadtverkehr mal wie in der Schweiz fühlen möchte, dem empfiehlt Seifert eine Reise in die serbische Hauptstadt. «Die Trams dort sind alle noch angeschrieben mit den Haltestellen aus Basel.» Dreimal sei er ihretwegen schon in den Balkan gereist.
Basler Tram in Belgrad/Serbien:
Postautos rund um den Globus
Etwas überraschend handelt Bahnexperte Seiferts liebste Anekdote aber nicht von einem Tram oder Zug. «In Guinea-Bissau traute ich meinen Augen nicht. Dort fuhr ich mit Bussen der Verkehrsbetriebe Freiburg. Die sahen noch aus wie zu Hause.»
Dieselbusse und auch Eisenbahnwagen findet man auf seiner Liste allerdings nicht. «Das wäre ein Fass ohne Boden». Niemand habe den Überblick, wo überall Schweizer Busse verkehren.
Anders sei das bei Trolleybussen. «Das Mekka für Schweizer Trolleybus-Nostalgikerinnen ist Valparaíso in Chile», weiss Seifert. «In der Hafenstadt fahren seit den 1990er-Jahren ausgemusterte Trolleybusse aus Zürich, Schaffhausen, St. Gallen und Genf. Ab 2014 wird die Flotte mit Bussen aus Luzern verjüngt.» Zwar seien die Busse alle grün lackiert, doch «das Flair und zum Teil auch das Innenleben ist noch wie früher», so Seifert.
Luzerner Trolleybus in Valparaíso/Chile:
Madagaskar – Schweizer Eisenbahn-Eldorado
Noch exotischer ist das Flair möglicherweise auf Madagaskar. Auch auf der grössten Insel im Indischen Ozean kann man Schweizer Bahngeschichte erleben.
Furka-Oberalp, Lausanne-Bercher, Luzern-Stans-Engelberg, Bière-Apples-Morges oder auch Yverdon–Ste-Croix: Wagen diverser Schmalspurbahnen fanden ab 1999 im Süden Madagaskars eine zweite Heimat. Es war die Initiative eines privaten Entwicklungshelfers.
Auf den Tischen sieht man Karten der Westschweiz, vor dem Fenster eine tropische Bananenlandschaft.
Reiseunternehmer Franz Stadelmann pendelt seit 30 Jahren zwischen der Schweiz und Madagaskar. Er kennt die Strecke: «Man fühlt sich in den noch fahrenden Wagen aus der Romandie in die Schweiz vor 50 Jahren zurückversetzt. Auf dem Klo hängt noch die 'SBB-WC-Papier-Halterung' und auf dem Tischchen sieht man noch eine Westschweizer Streckenkarte.»
Der kleine Unterschied: «Blickt man aus dem Fenster, sieht man eine tropische Bananenlandschaft», schwärmt Stadelmann. Wegen Reparaturarbeiten nach einem Unfall sei die Strecke zurzeit leider gesperrt. Aber die Schweizer Wagen täten ihren Dienst. Sie seien ein Beispiel dafür, dass Entwicklungshilfe funktionieren kann.
Madagaskar – Schweizer Eisenbahn-Schrottplatz?
Eine andere - zwar auch gut gemeinte - private Entwicklungshilfe wurde allerdings zum Desaster. 2004 wurden mehrere Kompostionen der Zürcher Forchbahn nach Madagaskar transportiert. Die Idee: Sie sollten in der Hauptstadt als Stadtbahn zum Einsatz kommen.
Die tragische Realität? «Seit 20 Jahren steht die Forchbahn auf dem Abstellgleis. Nutzlos. Verblasst. Sie wurde noch keinen Meter bewegt», weiss Stadelmann.
Er kennt auch die Gründe. Sie leuchten ein: «Erstens: In Madagaskar gibt es keine Fahrleitungen. Die Forchbahn fährt mit Strom. Zweitens: Die existierenden Schienen waren zum Teil überbaut. Drittens: Die Finanzierung war nicht geklärt. Und: Der Präsident, der das Projekt förderte, wurde weggeputscht.» Kurz: «Ein von Anfang an schlecht konzipiertes Projekt.»
Aus den Augen, aus dem Sinn?
Was bei dieser Vorgeschichte überrascht: 2020 wurde erneut ausrangiertes Rollmaterial aus der Schweiz nach Madagaskar verschifft. «Es sind mehrere Kompositionen oranger Züge des Regionalverkehrs Bern-Solothurn und der Linie Lugano-Ponte Tresa», weiss Kenner Stadelmann. «Ich befürchte, die Geschichte wiederholt sich.»
Der aktuelle Präsident habe die Idee einer Stadtbahn neu lanciert. Immerhin gebe es mittlerweile rund fünf Kilometer Schienen. Auf August war die Eröffnung angekündigt. Sie wurde verschoben. 2024 solle es so weit sein, schreiben lokale Medien. «Gefahren ist noch keiner der Züge. Sie stehen noch immer am Hafen, rund 250 Kilometer von der Hauptstadt entfernt.»
Dennoch sei die Chance, dass dereinst Schweizer Occasion-Züge in Antananarivo fahren, so gross wie schon lange nicht mehr. «Womöglich mit einer angehängten Diesellok, vielleicht auch erst in zwei Jahren» so Stadelmann. In Madagaskar könne man erst etwas glauben, wenn es da sei.
Beim aktuellen Tramprojekt Bern-Lemberg ist man da sichtlich optimistischer. Konsulent Martin Häfliger benutzt keinen Konjunktiv. «Alles ist abgeklärt. Die Infrastruktur passt. Wenn die Berner Trams nach Lemberg kommen, bin ich sicher, werden die auch fahren.»