Zum Inhalt springen

Selbstoptimierung hat Grenzen Wir erben Charaktereigenschaften und körperliche Merkmale

Eine materielle Erbschaft kann man ausschlagen. Was man von der Familie mitbekommt, erbt man automatisch.

Wenn der verstorbene Onkel in Sachen Geld keine glückliche Hand hatte oder wenn man vermutet, dass die Eltern bei ihrem Ableben in Geldschulden steckten, kann man die Erbschaft ausschlagen. Es gibt Menschen, die lassen es darauf ankommen, auch wenn die Verhältnisse nicht klar sind. Das ist eine Frage der persönlichen Risikobereitschaft. Bei Nichtmateriellem hat man aber keine Wahl.

«Hilfe, ich erbe!»: Immaterielles Erbe kann man nicht ausschlagen

Beim Erben von genetischen Eigenschaften gilt es, sich mit dem Ererbten zu arrangieren. Dies zeigt die aktuelle Ausstellung «Hilfe, ich erbe!» im Berner Generationenhaus.

Ein Rucksack voller Erbsachen

Körperliche Merkmale, persönliche Fähigkeiten und Charaktereigenschaften trägt man wie in einem Rucksack durchs Leben. Hat man Glück, gefällt einem das eigene Äussere: die Form seiner Nase, der Kirschmund, die eigene Körperlänge.

Zwei Basketballspieler in lila Trikots mit Basketball.
Legende: Wie man aussieht, entscheidet man nicht selbst. Es ist wie einer Lotterie. Depositphotos.com-XiXinXing

Oder man arrangiert sich mehr oder weniger mit dünnem Haar, Glatze, Krampfadern oder abstehenden Ohren.

Der Ehrgeiz von der Mutter und die Musikalität vom Vater

Wie beim Erben von Geld und Immobilien, ist auch die Vererbung von Fähigkeiten und Charaktereigenschaften eine Glücksache. Sinn für Humor, Mut, Kontaktfreudigkeit, Ehrgeiz, Sprachgefühl, handwerkliches Geschick oder Sinn für Zahlen nimmt man gerne als Erbe an.

Porträt eines jungen Mannes in historischer Kleidung mit Buch.
Legende: Wolfgang Amadeus Mozart erbte eine hohe Musikalität. Bereits mit acht Jahren schrieb er erste Kompositionen. Dass er ein so erfolgreicher Komponist wurde, hatte auch mit seiner intensiven Förderung zu tun. Voraussetzung war aber seine «Erbschaft» im Musikalischen. Bild: W. A. Mozart im Alter von 13 Jahren in Verona 1770. IMAGO / GRANGER Historical Picture Archive

Man erbt auch, was man nicht haben oder sein möchte

Anders sieht es bei negativ konnotierten Eigenschaften aus. Diese würde man als Erbe liebend gerne ausschlagen: Hang zu Geiz, Ängstlichkeit oder Depressionen. Auch für mangelnde Fähigkeiten, wie fehlendes Organisationstalent, oder Schreibschwäche kann man sich nicht erwärmen.

Ein Risiko für bestimmte Krankheiten, ein Suchtverhalten oder psychische Beeinträchtigungen stehen ebenfalls nicht auf der Erb-Wunschliste. Ein Erbe kann also Fluch oder Segen sein. Die Ausstellung zeigt auch: Das «Erbe» muss man zwar übernehmen. Immerhin kann man aber bei vielen dieser genetisch bedingten «Erbstücke» etwas entgegensetzen, sie abschwächen oder eigene positive Eigenschaften stärken.

Familiengeschichte begleiten einen durchs ganze Leben

Auch die Familiengeschichte prägt einen. Wie Eltern mit ihren Familien Feste feiern, prägt einen fürs Leben. Auch die Weltanschauung überträgt sich auf die Kinder, und sei es in der Form, dass diese sich als Erwachsene davon absetzen.

Ausstellung «Hilfe, ich erbe!»

Box aufklappen Box zuklappen
Eine Frau mit Kopfhörer lauscht der Audiospur an einer der Stationen in der Ausstelllung
Legende: Ausstellung «Hilfe, ich erbe!» Die Ausstellung zeigt die persönliche und gesellschaftliche Relevanz des Erbens von Nichtmateriellem auf. SRF

Auch wenn die unzähligen wissenschaftlichen Fakten und Porträts unterschiedlichster Menschen in der Ausstellung aufs erste nicht mit einem selbst zu tun haben, stellt man sich im Verlaufe des Besuchs automatisch diese Fragen: Wie ist es bei mir? Was erbte ich von wem? Wie prägten mich meine Gene? Welchen Rucksack hatte mir meine Familie mitgegeben? Wo hat mein Anspruch auf persönliche Selbstoptimierung Grenzen?

Menschen weltweit erleben Kriegstraumata und fangen als Geflüchtete in einem neuen Land von vorne an. Das prägt auch ihre Kinder. Jüdisch, als Muslim oder als Christin geboren hat einen Einfluss auf die eigene Biografie. Menschen, die adoptiert wurden, suchen ihre Wurzeln. Und wer als Kind das Geschäft des Vaters oder der Mutter nicht weiterführen will, lebt mitunter zeitlebens mit einem schlechten Gewissen.

Frau mit Kopfhörern betrachtet eine sprechende Frau auf einem Bildschirm.
Legende: Elterliche Traumata übertragen sich auf die Kinder, zum Beispiel ein Kriegstrauma, das die Eltern im Überlebensmodus und umgeben von Alpträumen gefangen lässt. (Videosequenzen erzählen Familiengeschichten. Ausstellung «Hilfe, ich erbe!». Berner Generationenhaus) Rob Lewis / Berner Generationenhaus

Das persönliche Verhältnis zum eigenen Erbe rückt in den Fokus

Unsere Gesellschaft ist sich gewohnt, sich in einer Welt der vielen Möglichkeiten die gewünschten Optionen auszusuchen und umzusetzen. Immaterielles Erbe schränkt diese freie Wahl ein. Wir nehmen zwangsläufig an einer «Geburtenlotterie» teil: In welcher Familie und in welchen Einkommensverhältnissen wachsen wir auf? Wie prägt uns unsere Umwelt? Mit welchen Charaktermerkmalen leben wir? Welche Traditionen wurden uns vorgelebt? Welches Wertesystem und welche politische und religiöse Einstellung haben uns die Eltern mitgegeben?

SRF 1, Treffpunkt, 15.1.2025, 10:03 Uhr

Meistgelesene Artikel