In der Schweiz werden jährlich zwischen 30'000 und 50'000 Kinder von Kinderschutzorganisationen betreut, weil ihr Wohl gefährdet ist, sei es durch sexuelle Gewalt, Schläge, Vernachlässigung oder psychische Gewalt. Deshalb sammelt die Glückskette mit der SRG Spenden unter dem Motto: «Gegen Gewalt an Kindern in der Schweiz und weltweit».
SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider kennt die Schattenseiten des Familienlebens aus ihrer 13-jährigen Erfahrung als Sozialarbeiterin.
SRF: Was kann die Schweiz angesichts der alarmierenden Zahlen sexueller Gewalt tun, um Kinder besser zu schützen?
Elisabeth Baume-Schneider: Eine einfache Lösung gegen (sexuelle) Gewalt gibt es leider nicht. Prävention muss jedoch frühzeitig beginnen, bereits in der Kindheit und im schulischen Umfeld.
Die Verantwortung liegt nicht nur bei den Familien, sondern bei der gesamten Gesellschaft.
Ebenso wichtig ist die enge Zusammenarbeit mit den Familien. Aber die Verantwortung liegt nicht nur bei den Familien, sondern bei der gesamten Gesellschaft. Kinder haben ein Recht auf eine sichere und unbeschwerte Kindheit, frei von jeglicher Form von Gewalt.
Sie waren Sozialarbeiterin. Welche Erfahrungen können Sie aus dieser Zeit in die Politik einfliessen lassen?
Die enorme Verantwortung, die wir haben, Kinder zu schützen. Manchmal muss man diesen Schutz über die Polizei oder den gerichtlichen Weg einfordern. Aber ebenso wichtig ist es, diese Familien nicht allein zu lassen.
Früher dachte man, gefährliche Täter seien fremde Männer auf der Strasse. Leider passiert diese Gewalt oft im familiären Umfeld.
Der Dialog ist entscheidend, denn sie brauchen Vertrauen in die Institutionen. Ohne Hilfe und Unterstützung können sie sich nicht organisieren. Vertrauen ist der Schlüssel, um Hilfe anzunehmen und zu bekommen.
Sexueller Missbrauch ist ein Tabu. Wie lässt sich dieses durchbrechen, besonders, wenn die Täter aus dem familiären Umfeld stammen?
Früher dachte man, gefährliche Täter seien fremde Männer auf der Strasse. Leider passiert diese Gewalt oft im familiären Umfeld, in der Kirche oder im Sport. Es ist wichtig, diese Wahrnehmung zu durchbrechen.
Ein Kind muss die Möglichkeit haben, bei Problemen mit einer vertrauten Person – wie einer Lehrerin oder Betreuerin – darüber zu sprechen. Entscheidend ist, dass diese Problematik heute anerkannt wird.
Lehrkräfte und Kita-Mitarbeitende müssen für dieses Thema sensibilisiert werden. Wie werden diese Themen in der Ausbildung und Weiterbildung behandelt?
Es gibt bereits Programme in der Ausbildung und Weiterbildung von Lehrkräften und Kita-Mitarbeitenden, die dieses Thema behandeln. Wichtig ist, dass diese ernst genommen und umgesetzt werden.
Als Erziehungsdirektorin des Kantons Jura habe ich aus erster Hand erlebt, wie entscheidend Präventionskampagnen sind. In der Schweiz gab es beispielsweise eine Kampagne für Kinder ab vier Jahren mit dem Slogan «Mein Körper ist mein Körper». Sie vermittelt simpel: Wenn ich mich unwohl fühle, muss ich das sagen können. Dank solcher Programme wird diese Sensibilisierung immer stärker.
Wie steht es um den Schutz von gewaltbetroffenen Kindern und Jugendlichen? Fehlen in der Schweiz genügend Schutzplätze?
In der Schweiz gibt es inzwischen die Vorgabe, dass in allen Kantonen ausreichend Schutzplätze für gewaltbetroffene Kinder und Jugendliche vorhanden sein müssen, und die Kantone stimmen dem zu.
Zusätzlich zu mehr Schutzplätzen braucht es auch Familien, die Kinder zu Hause aufnehmen.
Es wird zwar noch etwas dauern, aber wichtige Schritte wurden bereits gemacht. Zusätzlich zu mehr Schutzplätzen braucht es auch Familien, die Kinder zu Hause aufnehmen. Letztes Jahr habe ich im Parlament gefordert, dass das Gesetz eine gewaltfreie Erziehung für Kinder vorschreibt.
Das Gespräch führte Daniel Fohrler.