Mandy Abou (34) Shoak wurde in der Hauptstadt Khartoum geboren. Vor 32 Jahren flüchtete sie mit ihrer Familie aus dem Sudan. Heute ist sie Zürcher Kantonsrätin (SP) und verfolgt den Bürgerkrieg in ihrer Heimat aus der Ferne. Das macht es nicht weniger schlimm. Angehörige sind auf der Flucht verschollen und guter Rat ist teuer.
Der Sudan ist eine der schlimmsten humanitären Katastrophen unserer Zeit.
SRF: Sie sind Schweizerin und als kleines Mädchen mit der Familie aus dem Sudan in die Schweiz geflüchtet. Wie schauen Sie heute als erwachsene Frau auf den Sudan?
Es ist eine riesige Katastrophe. Das Gesundheitssystem, das Bildungssystem, das Wirtschaftssystem und das politische System sind eingebrochen. Die Hauptstadt Khartoum ist ein einziger Friedhof und Edem Wosornu vom UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten hat vor dem Sicherheitsrat gesagt: «Der Sudan ist eine der schlimmsten humanitären Katastrophen unserer Zeit.»
Ein Teil Ihrer Verwandtschaft ist auf der Flucht verschollen. Was heisst das, was wissen Sie?
Wir haben Verwandte vor Ort, Verwandte auf der Flucht, Verwandte, die es geschafft haben und ins unmittelbare Ausland nach Ägypten oder Äthiopien geflüchtet sind. Die Menschen vor Ort haben nichts mehr. Viele Häuser werden geplündert, die Milizen haben die Spitäler ausgeräumt. Wenn man überhaupt genügend Geld hat, um sich auf die Flucht zu machen - vorausgesetzt man hat die gesundheitliche Kondition dafür - dann gibt es auf dem Weg sehr viele Milizen, die unglaublich viel Geld eintreiben. Drei Leute unserer Familie sind auf dem Weg vom Sudan nach Ägypten verschollen. Meine Mutter hat alle WhatsApp-Chats auf Todesanzeigen abgesucht. Es ist eine unglaubliche Misere.
Was wissen Sie von den anderen Verwandten, die noch im Sudan sind? Gibt es Hoffnung, gibt es überhaupt Möglichkeiten?
Nicht wirklich. Alle wollen raus. Die Situation ist wirklich mega, mega schlimm. Der einzige Weg, wie man im Moment zu Geld kommt, ist, dass Leute aus dem Ausland Geld schicken. Es ist wirklich alles eingebrochen und der Hunger ist ein sehr grosses Problem.
Ich stelle mir vor, es ist auch schwierig, überhaupt in Kontakt zu bleiben. Wie schafft man das – wie können Sie sich austauschen?
Die Milizen haben die Kontrolle über das Internet. Die Milizen bringen teilweise Familienmitglieder um und dann muss man den gleichen Menschen unheimlich viel Geld fürs Internet bezahlen, um den Anderen mitteilen zu können, dass der eine Teil der Familie gestorben ist. Die Situation ist unsagbar.
Was können Sie von hier aus machen, wie können Sie Ihrer Familie helfen?
Es braucht finanzielle Unterstützung, damit die elementarsten Bedürfnisse gedeckt werden können: Essen und Medikamente. Es braucht auch Hilfe, damit die Leute das Land verlassen können. Die, die es geschafft haben, brauchen dann ein Dach über dem Kopf.
Wenn man Ihnen zuhört, fehlen einem die Worte. Was beschäftigt Sie am meisten?
Die Situation ist elend, ich bin oft verzweifelt und ratlos. Im Moment wollen wir die Menschen, die verschollen sind, finden. Man muss sehr aufpassen, dass man nicht den falschen Leuten Geld zukommen lässt. Die Pushbacks an den Grenzen sind ein Elend, was unter anderem auch mit Geld der EU finanziert wird. Die Politik in unseren Ländern führt zu dieser Konsequenz. Ich hoffe, dass wir es schaffen, dass die internationale Gemeinschaft bald einschreitet und der unsägliche Kampf auf dem Rücken der Zivilbevölkerung gestoppt werden kann.
Das Gespräch führte Sven Epiney.