Der 1. Mai steht ganz im Zeichen der Arbeiterbewegung. Er geht über ein Jahrhundert zurück, als die US-Arbeiterinnen und -Arbeiter im Jahr 1886 den Achtstundentag durchgesetzt haben. Und auch heute beschäftigen arbeitsrechtliche Fragen die Bevölkerung. Alexandra Kaiser hat täglich mit diesen Fragen zu tun. Als Beraterin bei «Der Beobachter» beantwortet sie Fragen zum Arbeitsrecht.
SRF: Was sind Dauerbrenner, die Ihnen immer wieder begegnen?
Alexandra Kaiser: Krankheit und Kündigung kommen immer wieder als Themen, insbesondere die Kombination von beidem. Also zum Beispiel: Darf man mich entlassen, wenn ich krank bin? Oder: Ich bin entlassen worden, was, wenn ich jetzt krank werde? Oder was, wenn ich kurz vor einem Burn-out stehe?
Gibt es auch Anfragen, die saisonal bedingt sind?
Momentan haben Feiertagsfragen Saison. Bei Teilzeitangestellten geht es häufig darum, ob sie Anspruch auf Feiertage haben oder nicht. Zum Beispiel: Ich arbeite immer am Mittwoch und Donnerstag, kann ich den Pfingstmontag dann nachholen und an einem anderen Tag frei machen?
Und wenn es Richtung Sommerferien geht, kommen auch ganz viele Ferienanfragen. Ein Klassiker: Bekomme ich die Ferien zurück, wenn ich krank bin während der Ferien?
Und was ist die Antwort?
Oft denken die Leute, dass ein normales Arztzeugnis für eine Arbeitsunfähigkeit reicht, damit ich die Ferientage zurückbekomme. Aber das reicht nicht. Ich muss mich vom Arzt auch «ferienunfähig» schreiben lassen. Arbeitsunfähig bedeutet nämlich nur, dass ich nicht in der Lage bin zu arbeiten. Ferienunfähig heisst, dass ich nicht in der Lage bin, mich zu erholen. Da braucht es also noch ein wenig mehr.
Derzeit haben Sie viele Anfragen zu Krankheit, Kündigung und Ferien. Wie haben sich die Fragen im Laufe der Zeit verändert?
Im Grossen und Ganzen sind es die gleichen Anfragen wie noch vor neun Jahren, als ich beim «Beobachter» begonnen habe. Aber als ich angefangen habe, war etwa jede zehnte Anfrage zum Thema Mobbing. Das habe ich heute viel seltener. Meine Hypothese ist: Es hat sich herumgesprochen, dass es sehr schwierig ist, rechtlich gegen Mobbing vorzugehen.
Eine frühere Kollegin arbeitete seit den 80er-Jahren beim «Beobachter». Sie erzählte mir, dass die Anfragen früher oft viel simpler gewesen seien als heute. Die Arbeitnehmenden waren damals wohl weniger gut über ihre Rechte informiert. Unsere heutigen Ratsuchenden wissen oft schon ganz gut über die rechtlichen Grundlagen Bescheid und stellen uns komplexere Fragen.
Was denken Sie, wie könnten sich die Anliegen der Arbeitnehmenden in Zukunft verändern?
Die psychische Belastung nimmt für viele Menschen weiter zu. Das wird sich auch weiterhin durch Arbeitsausfälle bemerkbar machen. Die Anfragen zu Krankheiten nehmen also kaum ab. Ich kann mir vorstellen, dass uns Angestellte dadurch künftig mehr Fragen zur ständigen Erreichbarkeit und der Vermischung von Freizeit und Arbeit stellen werden. Bisher haben wir interessanterweise nicht viele Fragen dazu.
Welche Lücken im Arbeitsrecht müssten noch geschlossen werden, wenn es nach Ihnen geht?
Ich würde mir manche Urteile vom Bundesgericht wünschen. Zum Beispiel über die Arbeitszeiterfassung von Teilzeitangestellten. Das war über die Jahre vermehrt Thema.
Das Gespräch führte Rouven Born.