Die Rechnung ist simpel. Weniger Schäfchen bedeuten weniger Kirchensteuern. Der Unterhalt der rund 6000 Kirchen in der Schweiz bleibt aber trotz sinkender Mitgliederzahlen gleich teuer. Und die Lage spitzt sich zu: Schon in zwei Jahren dürfte erstmals die Hälfte der Bevölkerung keiner der beiden grossen Landeskirchen mehr angehören.
Damit die Kirche auch weiterhin «im Dorf bleibt», sind kreative Lösungen gefragt. Eine Möglichkeit ist die Misch- oder Umnutzung der Gotteshäuser. Beispiele im In- und Ausland dafür gibt es bereits. Doch schauen Sie selbst:
Was für Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf?
Werden hier Grenzen überschritten oder verspüren Sie eine Faszination? «Ein gewisser Tabubruch macht diese Orte sicherlich attraktiv für Touristen», findet SRF-Religionsredaktorin Léa Burger. «Kirchen haben bei uns eine lange Tradition. Wenn scheinbare Gegensätze zusammenkommen, wenn aus Altem Neues entsteht, dann macht uns das neugierig.»
Die Kirchenumnutzung ist kein neuzeitliches Phänomen.
Während der Reformation wurden katholische zu evangelischen Gotteshäusern. Aber auch profaner Pragmatismus führte immer wieder zu Umnutzungen. «In unsicheren Zeiten, beispielsweise während Kriegen, wurden Kirchen zu Getreidespeichern, Waffenlagern oder auch zu Spitälern umfunktioniert», sagt Burger. Und heute könne wieder Ähnliches beobachtet werden. Zum Beispiel Kirchen, die zu Asylunterkünften werden oder während einer Pandemie als Testzentren fungieren.
Die finanzielle Lage spitzt sich zu
Die eigentliche Haupteinnahmequelle der Kirchgemeinden ist die Kirchensteuer. Doch diese reiche schon lange nicht mehr aus, um die Kirche zu finanzieren. «Sakrale Wahrzeichen in urbanem Gebiet haben es einfacher. Sind sie denkmalgeschützt und Tourismusmagnete, dann gibt es auch was vom Staat», so die Religionsredaktorin. «Gemeinden auf dem Land aber stehen vor extremen Herausforderungen. Zum Beispiel, wenn Sanierungen anstehen.»
Für viele ist es sicher einfacher, wenn es in einer christlichen Tradition weitergeht.
Lässt sich das Geld auftreiben? Was wären alternative Optionen? Die Hemmschwelle für Umnutzungen scheint im nahen Ausland tiefer zu liegen. Streetfoodmärkte, Diskotheken, Supermärkte, Kletterhallen oder Wohnungen. Nichts scheint unmöglich. Warum ist man im Ausland «weiter»? «Womöglich hatte man in der Schweiz doch noch länger genügend finanzielle Mittel», vermutet Burger.
Kirchenumnutzung bedeutet nicht Swimmingpool
Die Kirche und die institutionalisierte Religion verlieren an Bedeutung, auch in der Schweiz. Exemplarisch für den sogenannten Säkularisierungsprozess ist Basel. «Seit den 90er-Jahren macht man sich dort Gedanken, wie man Kirchen umnutzen kann.» Drei Beispiele: Die Kirche Don Bosco wurde zum Musikzentrum, die Elisabethenkirche setzt auf eine Mischnutzung, die Lukaskirche wurde an eine Freikirche verkauft.
Doch welche Umnutzung macht Sinn? Diese Frage müsse individuell pro Standort beantwortet werden. Religionsredaktorin Léa Burger: «Für viele ist es aber sicher einfacher, wenn es in einer christlichen Tradition weitergeht. Nicht zwingend religiös, aber in Bezug aufs Gemeinwohl. Beliebt sind kulturelle oder sozial-karitative Weiternutzungen.»
Müssen es wirklich diese starren Kirchenbänke sein?
Schweizweit wurden in den letzten 30 Jahren rund 200 kirchliche Gebäude umgenutzt. Oft seien es Mischformen. Eine Kirchenumnutzung muss keine Extremvariante sein. Und oft würde auch schon ein bisschen Flexibilität helfen, findet Léa Burger. Das fange schon bei dieser simplen Frage an: «Müssen es wirklich diese starren Kirchenbänke sein?»
«Umnutzung ja, aber nicht mit meiner Kirche»
Wenn die Option Umnutzung in einer Gemeinde auf den Tisch kommt, sind Diskussionen natürlich vorprogrammiert. Strenggläubige seien nicht per se gegen Umnutzungen, konnte Burger feststellen. Natürlich lässt sich das nicht pauschalisieren. «Aber oft praktizieren diese Menschen ihren Glauben, ihre Gebete, ihre Andachten auch zu Hause. Da spielt es gar nicht so eine Rolle, was mit der Kirche als Gebäude passiert.»
Kirchenumnutzung: Ein Zeichen des Verlustes? Oder eine Entwicklung, die ganz dynamisch passiert?
Viel eher würden sich diejenigen querstellen, die nicht jeden Sonntag in die Kirche gehen. «Kirchen sind ein Identitätsfaktor. Die eigene Hochzeit, die Taufe der Kinder. Vielleicht liegt auch die Grossmutter auf dem Friedhof begraben? Mit ihnen sind Emotionen verbunden. Da ist es schwer, wenn plötzlich etwas anders werden soll.»
Wo die Grenzen für eine Umnutzung der Kirchgebäude liegen, sei sehr individuell. Was wäre, wenn zum Beispiel ein muslimischer Verein die Kirche (mit)nutzen würde? «Die einen sagen dann: Kultort ist Kultort, Hauptsache, es ist eine religiöse Gemeinschaft», so Burger, «für andere wäre das ein Zeichen für den Untergang des christlichen Abendlandes.»
«Eine Kirchenumnutzung kann als Zeichen des Verlustes interpretiert werden oder als eine Entwicklung, die ganz dynamisch passiert.» Alle, sowohl Kirchengängerinnen und Nichtgläubige, werden sich die Frage stellen müssen: Wie wichtig ist es mir, dass die Kirche im Dorf bleibt? Oder zumindest das Gebäude mit Turm, Glocke und Uhr?