Zu Hause und unterwegs benutzen wir immer häufiger Smartphones und Tablets. Und auch wenn es noch zu früh ist, die «Post-PC-Ära» auszurufen, ist klar, dass der PC unter Druck gerät – und damit das Geschäftsmodell von Microsoft.
Mit Windows 8 hat Microsoft in einem radikalen Schritt auf diese Entwicklung reagiert und ein Betriebssystem entwickelt, das sich grundsätzlich für PCs, Smartphones und Tablets eignet. Die Zusammenarbeit mit Nokia und Windows Phone 8 beginnt langsam Fahrt aufzunehmen. Und nun fügt Microsoft noch das letzte Teil ins Puzzle und lanciert ein eigenes Tablet. Das Surface RT läuft mit Windows RT, einer speziell für Tablets abgespeckten Version von Windows – auf Basis der ARM-Prozessor-Architektur, statt der üblichen x86-Plattform.
Die Hardware: Stecker, Ständer, Tastatur
Das Test-Gerät (32-GB-Version mit Touch Cover) hat ein schwarzes Magnesium-Gehäuse und setzt sich mit seiner kantigen Design-Sprache deutlich von der Konkurrenz von Apple und Samsung ab. Es ist spürbar schwerer als mein älteres iPad. Der Bildschirm fällt sofort auf: Er ist im 16:9-Format und damit langgezogener als andere Tablets.
Auf der rechten Seite sind ein USB-2.0-Slot und Video-Ausgang angebracht, auf der Rückseite versteckt lässt sich der interne Speicher mit einer microSDXC-Karte erweitern. Dafür ist die Batterie nicht die stärkste – etwa ¾ der Kapazität eines aktuellen iPads. Nach einem halben Tag mittelschwerer Nutzung war sie leer (einrichten, installieren, vor dem Fernseher internetlen, etwas spielen).
Microsoft versucht, eine Brücke zum Laptop zu schlagen: Einerseits, indem sich auf der Rückseite des Geräts ein Ständer ausklappen lässt, um das Gerät ohne Zubehör aufstellen zu können. Andererseits durch das Cover, das nicht nur zum Schutz des Geräts, sondern auch als Tastatur dient.
Tippen im Blindflug
Diese Lösung mag auf den ersten Blick ein Bedürfnis erfüllen – in meinem Umfeld ist die Kombination iPad + Zubehör-Tastatur sehr beliebt. Doch die Lösung von Microsoft hat mich in der Praxis nicht überzeugt. Der Winkel des Bildschirms ist zu steil und lässt sich nicht verstellen. Beim Tippen oder beim Schauen eines Films hätte ich gerne das Tablet nach hinten gekippt, um im rechten Winkel statt von oben auf den Schirm zu sehen. Durch diesen ungünstigen Betrachtungswinkel wirkt der Bildschirm ausserdem etwas zu dunkel.
Auch mit der Tastatur konnte ich mich nicht anfreunden, die ist nämlich eigentlich auch ein mit Stoff bezogener Touchscreen. Sie reagiert auf Druck, nicht auf Leitfähigkeit – und ist deshalb weniger empfindlich. Weil ich ausserdem auf den Bildschirm schaue, bewege ich meine Finger oft unmerklich von den Tasten weg. Ich vertippe mich, weil ich weder haptisches noch optisches Feedback erhalte. Deshalb habe ich lieber die virtuelle Bildschirmtastatur benutzt.
Wem also eine zusätzliche Tastatur wichtig ist, macht besser einen Bogen um das Touch Cover und setzt auf das als Zubehör erhältliche Type Cover. Das hat echte Tasten, ist aber natürlich etwas teurer und schwerer.
Hektische Kacheln
Schalten wir nun das Gerät ein. Als erstes fällt natürlich das Metro-Interface auf: Wie schon bei Windows Phone und Windows 8 setzt auch Windows RT auf Kacheln. Im Gegensatz zu Apps auf iOS- oder Android-Geräten können die Kacheln direkt schon Inhalte anzeigen. Um z.B. Kalender-Einträge oder das aktuelle Wetter zu sehen, reicht ein Blick auf die Kachel, die App muss gar nicht erst gestartet werden.
Es wird also mehr Information angezeigt ohne erforderliche Interaktion – ein Konzept, das ich zwar nachvollziehen kann, das mir aber nicht gefiel. Der Bildschirm wird schlicht zu hektisch. Besonders die Nachrichten-, Kontakte- und Foto-Apps zeigen ständig wechselnde Inhalte an, mit recht zackigen Animationen. Diese stetige Bewegung lenkt ab. Ich habe deshalb die meisten «Live-Kacheln» deaktiviert und dann war Ruhe im Karton.
Sperriger Einstieg
Starten wir das Gerät zum ersten Mal, zeigt es uns einige grundlegende Gesten in einem kurzen Tutorial (z.B. vom rechten Rand auf den Bildschirm streichen, um Suche und Einstellungen hervor zu holen). Doch dann redet dieses Tutorial plötzlich von der Maus und zeigt einen PC-Bildschirm. Das macht für Windows 8 auf einem PC natürlich Sinn, aber wäre es so schwierig gewesen, diesen Abschnitt des Tutorials auf einem Tablet auszulassen?
Das ist nicht das einzige verwirrende Detail. So starte ich aus Gewohnheit zuerst einmal ein Windows-Update (das auf meinem Testgerät 21 Änderungen vornehmen musste und eine gute Stunde dauerte!). Danach ist allerdings nur Windows RT aktuell; die von Microsoft mitgelieferten Apps aber nicht, die muss ich später (als sie sich weigern, etwas zu tun) separat im App Store aktualisieren.
Dann möchte ich meinen Home-Screen personalisieren und Apps herumschieben, neu gruppieren oder die Live-Kacheln ein/ausschalten. Die dazu nötige Geste (Kachel nach unten streichen) ist, sagen wir mal, gewöhnungsbedürftig. Es ist mir klar, dass ich als iOS-Benutzer die Bedienung neu lernen muss. Doch Windows RT ist einfach komplexer: Von links streichen, um zwischen Apps zu wechseln; von rechts streichen für Suche oder Einstellungen; von unten streichen, um App-spezifische Bedienelemente sichtbar zu machen; und es gibt sogar die Möglichkeit, zwei Apps nebeneinander darzustellen. Für diese Flexibilität zahlt man den Preis der komplexeren Bedienung.
Wo sind die Apps?
Während man auf Windows-8-Geräten Programme aus unterschiedlichen Quellen installieren kann, hält sich Windows RT an das gleiche Prinzip wie iOS: Apps können nur über den hauseigenen App Store bezogen, installiert und aktualisiert werden. Und in diesem Store herrscht noch gähnende Leere.
So war mein erster Reflex, Facebook und Twitter zu installieren. Von beiden Diensten gibt es noch keine offizielle Windows-RT-App. Man muss auf Apps von anderen Anbietern ausweichen – was ich gerade im Falle eines sozialen Netzwerkes für eine schlechte Alternative halte, muss ich doch diesen unbekannten Anbietern vertrauen und Zugriff auf meine persönlichen Daten erteilen.
Mit meinem Facebook-Account kann ich auf dem Surface auch so verbinden; doch dann wird Facebook gewissermassen aufgesprengt: die Freunde in der Kontakte-App, Chats in der Nachrichten-App, hochgeladene Fotos in der Foto-App. Ich verstehe die Logik zwar, finde sie aber viel zu kompliziert.
Kaum Spiele
Besonders in der umsatzstärksten App-Kategorie der Spiele fällt auf, wie sehr der Store noch in den Kinderschuhen steckt. Einige der üblichen Verdächtigen (Angry Birds, Cut the Rope, Fruit Ninja, Where's My Water, Jetpack Joyride) sind zwar da; andere grosse Hersteller wie Zynga (Farmville) oder Popcap (Bejeweled) fehlen aber vollständig. Es gibt einige simple Ports von Xbox-Live-Spielen und Minesweeper und Solitaire. Das ist mager.
Für die Konsumenten, die ein Tablet in erster Linie zu Hause auf dem Sofa zur Unterhaltung nutzen, ist das wohl das entscheidende Kriterium – die Auswahl an Apps ist schlicht noch zu sehr eingeschränkt. Und die Hardware ist nicht so gut, dass es sich lohnen würde, diese Einschränkung in Kauf zu nehmen.
Hinter den Kacheln ein Fenster ins Büro
Einen Trumpf hat das Surface RT aber im Ärmel: Es ist ein Office vorinstalliert. Das bedeutet, dass ich mit dem Surface Word-, Excel- und Powerpoint-Dokumente bearbeiten kann. Wenn diese im SkyDrive (der Dropbox-Alternative von Microsoft) gespeichert sind, ist auch der Abgleich mit dem Geschäfts-PC kein Problem.
Damit wird das Gerät für die Handelsreisenden interessant, als Ersatz für den schweren, klobigen Geschäftslaptop. Doch auch hier überzeugt das Gerät nicht uneingeschränkt.
Meine Finger sind keine Maus
Sobald wir zum Beispiel Excel starten, verschwinden nämlich die Metro-Kacheln und es springt ein gewöhnliches Windows hervor. Es sieht eigentlich genau so aus, wie es auf einem PC aussehen würde – die Funktionen des RT-Office sind zwar leicht eingeschränkt (z.B. keine Makros, eingeschränkte Rückwärts-Kompatibilität von Formeln oder älteren Office-Formaten), doch ich finde mich sofort zurecht. Allerdings sind nun aber viele der Bedienelemente (Menüs, Knöpfe) viel zu klein – sie sind eher auf eine Bedienung mit einem feinen Mauszeiger ausgerichtet, nicht auf den dicken Finger. Das ist exakt der Grund, warum die ersten Tablet-PCs vor zehn Jahren nicht abhoben. Eine Formel anzupassen oder einzelne Werte in einer Tabelle zu korrigieren, wird dadurch schwerfällig und langsam. Eine fertige Powerpoint-Präsentation zeigen oder kleine Änderungen vornehmen geht, aber richtig arbeiten würde ich damit nicht wollen.
Nicht für Pendler
Ausserdem stellt sich hier die Frage, ob diejenigen, die ihren Laptop ersetzen möchten, nicht besser auf das Surface Pro warten. Das wäre dann ein ausgewachsener Laptop mit Tastatur und Windows 8, in Tablet-Form (ein Schweizer Verkaufsstart ist allerdings noch nicht bekannt). Und selbst dann könnten Zug-Pendler die Kombination von Tablet und Cover-Tastatur unpraktisch finden: Auf die Knie nehmen kann man das nämlich nicht stabil.
Für Pendler gibt es noch eine weitere, gewichtige Einschränkung: Das Surface (RT und Pro) kann nur per WLAN ins Internet, nicht über das Mobilfunknetz. Man müsste es also mit einem Smartphone verbinden (über Bluetooth oder einen Personal Hotspot) oder hoffen, dass man am USB-Anschluss eine 3G-Antenne zum Laufen bringt. Da machen es einem die 3G-Varianten von iOS- oder Android-Tablets deutlich einfacher.
Ein strategischer Zwitter
Dass Windows überhaupt auf einem Tablet läuft, ist eine beachtliche technische Leistung – Zeuge des enormen Entwicklungstempos in diesem Markt. Microsoft wendet sich damit von seinem jahrzehntelang praktizierten Modell ab, sich auf Software zu konzentrieren und die Hardware anderen zu überlassen. Das Surface RT ist deshalb als Wink mit dem Zaunpfahl zu sehen: Wollt ihr euch wirklich auf Android-Tablets verlassen und den Windows-Markt aufgeben? Wir können im Fall auch selber! Hersteller werden mit dem Surface RT unter Druck gesetzt, selber marktfähige Geräte für die Windows-Plattform zu entwickeln.
Und das tun sie: Asus (VivoTab), Lenovo (IdeaPad) oder Samsung (Ativ Tab) haben alle Windows-RT-Geräte im Köcher. Ob es allerdings überhaupt ein Bedürfnis nach dem eingeschränkten Windows RT gibt oder ob Kunden und Hersteller nicht lieber gleich auf ein (wohl etwas dickeres, dafür leistungsfähigeres) Tablet mit Windows 8 setzen, wird sich erst noch zeigen müssen.
So fällt das vorliegende Gerät auf mehreren Ebenen zwischen Stuhl und Bank. Den Privatkunden fehlen Apps. Die höhere Komplexität könnte sie gerade abschrecken, während das Surface RT die höheren Anforderungen der Geschäftskunden dann doch wieder nicht abdecken kann. Der Spagat zwischen Finger und Maus, zwischen Laptop und Tablet, zwischen Gewicht und Leistung und Ergonomie ist dem Surface RT auf Schritt und Tritt anzumerken und tut ihm nicht gut.