Samstagnachmittag, 14 Uhr: Auf dem Festivalgelände herrscht Hochbetrieb. Durch die Strassen von Degen dröhnen die Festivalbässe. Ich bin auf der Suche nach den Menschen, die hier leben. Mich interessiert, wie sie das Openair vor ihrer Haustüre erleben. Schon bald merke ich, dass die leeren Strassen täuschen: Im Ort ist einiges los. Zum Beispiel im Garten von Pascal Spörri. Die Festbänke unter den regendichten Pavillons sind gut besetzt, über der Feuerstelle rotiert ein Lamm.
Pascal ist in Degen aufgewachsen. Das Openair Lumnezia bedeutet für den 37-jährigen Monteur ein Haus voller Gäste. Freunde, Verwandte und Arbeitskollegen besuchen Pascal und lassen sich von ihm bewirten. Die drei Festivaltage bedeuten auch für ihn Ausnahmezustand. Pascal bestätigt meinen Eindruck:
Das Openair ist definitiv unser Highlight des Jahres!
Das Lamm ist bald servierbereit und ich wünsche Pascal und seiner Gästeschar einen guten Appetit. Ein paar Häuser weiter treffe ich auf Yvonne Casanova. Sie freut sich jedes Jahr auf das Openair Lumnezia: «Das Festival ist ein Erlebnis, es herrscht Betrieb!»
Yvonne Casanova muss es wissen: Die Pensionärin wohnt direkt am Openairgelände. Auch wenn das Festival für sie Lärm bis in die frühen Morgenstunden bedeutet, schwärmt Yvonne. Das Openair sei einerseits gute Reklame für das Val Lumnezia, andererseits machte Yvonne während des Festivals auch schon erfreuliche Bekanntschaften. Zum Beispiel letztes Jahr, als sie ein paar Festivalbesuchern Unterschlupf gewährte.
Ich kam nach Hause und stellte fest, dass mein Autounterstand bereits besetzt war. Einige junge Leute suchten Schutz vor dem Regen und wir hatten es richtig lustig miteinander.
Ihre Gäste bedankten sich zum Schluss mit einem Bier bei Yvonne. Ob das Openair denn auch Nachteile mit sich bringt? Yvonne winkt ab: «Heute Morgen um 6 Uhr dröhnten zwar noch immer Bässe vom Festivalgelände – aber wir haben hier ja schon bald wieder Ruhe – für den Rest des Jahres.»
So sieht es auch der nächste Herr, den ich im Regen von Degen (sorry, der musste sein) treffe. Es ist Michael Caduff. Ein wichtiger Mann für das Openair Lumnezia.
Michael Caduff ist 76 Jahre alt und pensioniert. Er war Bauer – und der Besitzer des Landes, auf dem das Openair Lumnezia stattfindet. Das Land gehört inzwischen Michaels Sohn. Wie erlebt Michael das Festival? Er schmunzelt: «Das ist kein Problem, im Gegenteil: Wir mögen das Openair.» Ein bisschen Betrieb im Ort könne nicht schaden, ausserdem müsse man doch etwas für die Jugend tun.
Ein paar der jungen Leute könnten hier bleiben, wir hätten gerne ein bisschen mehr Leben im Dorf. Denn wir werden immer weniger.
Die Konzerte interessieren Caduff dagegen weniger. Ganz im Gegensatz zu seiner Schwiegertochter Ramona Caduff. Als ich sie treffe, hat sie gerade alle Hände voll zu tun. Denn das Openair Lumnezia bedeutet für Ramona: Kochen.
Ramona Caduff steht in der Küche der Besenbeiz in Degen. «Kannst du in einer Viertelstunde wiederkommen? Ich muss noch ein paar Mahlzeiten rausschicken», ruft sie mir durch die Küchentüre zu. Ich setze mich. Ramona ist 34 Jahre alt und Bäuerin. Sie kocht ab und zu in der Besenbeiz.
Ihr Einsatz heute ist eine Ausnahme, erklärt sie mir, nachdem sie einer Familie eine grosse Portion Tortellini an den Tisch gebracht hat. «Am Samstag bleibt die Besenbeiz eigentlich geschlossen. Aber während des Openairs wollten wir auch etwas beisteuern.»
Deshalb kocht Ramona mit einem kleinen Team Mahlzeiten aus eigenen Zutaten vom Hof. Offenbar eine gute Idee: Im Minutentakt gehen in der Küche Bestellungen ein. Ramona mag das Openair. Der Ort sei praktisch tot, sagt sie – aber:
Das Festival bringt Leben nach Degen!
Ramona nimmt die nächste Hackfleischtasche in Angriff. Sie freut sich schon auf den Feierabend: «Heute nach getaner Arbeit gehe ich auch noch ans Openair.»
Ein paar Meter weiter treffe ich schon auf eine weitere Festgesellschaft. Toni Brändli wird bald zur Grillzange greifen. Der pensionierte Werkzeugmacher hat Gäste: Die Verwandtschaft aus den umliegenden Ortschaften ist zusammengekommen.
Denn auch bei den Brändlis wird das Openair Lumnezia gefeiert. Um den Tisch auf Tonis Parkplatz sind drei Generationen versammelt.
Endlich läuft mal was im Dorf. Wir haben unsere Kinder, Enkel, Cousins und Cousinen eingeladen.
Ich blicke in zufriedene, nickende Gesichter. Früher habe er selbst gerne das Openair besucht, aber: «Inzwischen sind das Festivalprogramm und mein Musikgeschmack auseinandergedriftet.» Aber das macht nichts. Denn Toni Brändli ist glücklich. Das Openair Lumnezia beschert ihm ein paar schöne Tage mit seiner Famillie.
Degen, ich komme wieder!
Als ich mich auf den Weg zurück aufs Festivalgelände mache, habe ich ein kleines Schweizer Dorf und seine Bewohnerinnen und Bewohner fest in mein Herz geschlossen. Ich bin gerührt über die Freude und die Offenheit, mit der man in Degen auf das Openair Lumnezia reagiert. Klar – das Festival zieht potentielle Touristen in die Region. Es bringt aber auch einen Haufen Fremder und viel Lärm in das stille Tal. All das nehmen die Menschen in Degen gelassen und mit einem Wohlwollen, das mir Eindruck macht. Degen, ich komme wieder! Versprochen.
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