Ein Hinweis zuerst: Das ist keine Game-Kritik im eigentlichen Sinn. Meine Kollegin, die hier eigentlich über das Spiel schreiben wollte, ist verhindert. Und ich konnte «The Last Guardian» noch nicht spielen. Wer mehr über den eigentlichen Inhalt von «The Last Guardian» erfahren will, kann das aber in Guido Bergers Let's Play-Video auf Youtube tun.
Doch über «The Last Guardian» gibt es auch so genug zu sagen. Schliesslich ist das Game, beziehungsweise seine Entstehungsgeschichte ein gutes Beispiel dafür, was man auf Englisch «Development Hell» nennt. Auf Deutsch, etwas holprig: die « Entwicklungshölle ».
Für viele mag es darum ein Wunder sein, dass «The Last Guardian» überhaupt noch erschienen ist. Fumito Ueda hat schon 2007 mit der Entwicklung begonnen, vor neun langen Jahren also. Die Idee zu «The Last Guardian» soll er sogar schon vorher gehabt haben, im Jahr 2005, nach dem Erscheinen seines zweites Games, «Shadow of the Colossus».
2009 zweifelte noch niemand am Erscheinen
Für viele gehören «Shadow of the Colossus» und sein Vorgänger «Ico» von 2001 zu den gelungensten Titeln der Playstation überhaupt. Die beiden Games bescherten Entwickler Ueda eine treue Fangemeinde. Der Regisseur Guillermo del Toro soll sie sogar als die beiden einzigen Meisterwerke des Mediums bezeichnet haben.
Entsprechend gross waren die Erwartungen, als Ueda 2009 an der E3, der weltgrössten Games-Messe, einen ersten Ausschnitt des Games zeigte. «The Last Guardian» sollte Elemente von «Ico» und «Shadow of the Colossus» aufnehmen. Im Zentrum der Geschichte: Die Freundschaft eines kleinen Jungen zum gefiederten Mischwesen Trico – halb Vogel, halb Katze.
Die Veröffentlichung wurde für 2011 angekündigt. Damals zweifelte niemand an diesem Termin, denn der an der E3 gezeigte Trailer liess an ein schon fast fertiges Game denken.
Das Game steckt in Schwierigkeiten
Doch es kam anders: Ein Jahr nach der E3 war an der Tokyo Game Show (2010) zwar noch einmal ein Trailer zu sehen – doch darauf folgten fast sechs Jahre Stille. Keine neuen Trailer mehr und auch Sony, der Publisher des Games, hielt sich in der Folge mit Informationen dermassen zurück, dass viele Beobachter davon ausgingen, das Projekt sei gestorben.
Tatsächlich steckte «The Last Guardian» in grossen Schwierigkeiten: Weil es die Umsetzung auf der in die Jahre gekommenen Playstation 3 Schwierigkeiten bereitete, entschloss Sony 2012, das Game statt dessen als Titel für die neue Playstation 4 herauszugeben, die ein Jahr später in den Verkauf kam. Ein Entscheid, der wohl auch von der Überlegung beeinflusst wurde, für die neue Konsole einen attraktiven Exklusivtitel zu haben. Für Ueda dagegen, so heisst es, hätte das Spiel auch auf der Playstation 3 noch funktioniert.
Von der Playstation 3 auf die Playstation 4 verlegt
Mit ihrer AMD64-Chiparchitektur unterscheidet sich die Playstation 4 deutlich von ihrer Vorgängerin. Entsprechend schwer war es, den Code des Games auf die neue Maschine zu übertragen.
Erschwerend kam dazu, dass Fumito Ueda im Dezember 2011 Sony verlassen hatte und mit ihm auch einige Mitglieder seines Teams Ico, das in der Folge aufgelöst wurde. Bei Sony waren deshalb neue Teams dafür zuständig, den Code auf die Playstation 4 zu bringen. Für viele Fans ein Zeichen dafür, dass «The Last Guardian» nun endgültig erledigt sei.
Doch Sony hatte das Game nicht aufgegeben. Und auch Ueda arbeitete weiter an dem Projekt, an dessen Fertigstellung er vertraglich gebunden war. Zusammen mit seinem neuen Team besorgte er unter anderem die Animation der Spielfiguren sowie das Charakter- und Leveldesign. Die ästhetischen Einflüsse von «Ico» und «Shadow of the Colossus» sind denn auch klar auszumachen.
Trägt das Spielkonzept noch?
Schon ganz am Anfang der Entwicklung hatte Ueda erklärt, er wolle die emotionale Bindung zwischen dem Spieler und der Computerfigur Trico zum zentralen Element des Games machen. Die Idee dazu sei ihm gekommen, als er gesehen habe, dass viele Spieler in «Shadow of the Colossus» eine enge Beziehung zum Pferd ihrer Spielfigur aufgebaut hatten – eine Freundschaft, die so eigentlich gar nicht geplant war.
Doch einzelne Kritiker zweifelten daran, dass das Konzept in der modernen Spielewelt noch bestehen könne. In den Jahren, die «The Last Guardian» in der Entwicklungshölle zubrachte, hätten längst andere Games erfolgreich die emotionale Bindung des Spielers zu einer Spielfigur zum Thema gemacht.
Tatsächlich wirkt das Konzept von «The Last Guardian» neben Games wie « Journey » oder « The Last of Us » heute längst nicht mehr so einzigartig, wie das zu Beginn der Entwicklung vor neun Jahren noch der Fall war.
Begeisterung – mit Abstrichen
Trotz allem: An der E3 2015 wurde «The Last Guardian» letztes Jahr noch einmal vorgestellt und die Veröffentlichung für 2016 angekündigt. Und tatsächlich: Jetzt ist das fast schon zum Mythos gewordene Projekt tatsächlich als Game erschienen. Hat sich das Warten gelohnt? Verlässt man sich auf Aggregatoren-Seiten wie Metacritic , dann ja: «The Last Guardian» erhält dort fast ausschliesslich gute Bewertungen.
Doch es gibt auch Kritik: Das Gameplay sei veraltet, ebenso die Kameraführung. Und weil die Physik des Games nicht immer stimme, sei die Spielmechanik manchmal frustrierend. Auch das Verhalten von Trico, der nicht immer tut, was der Spieler gerne hätte, könne einen zur Verzweiflung bringen.
Andere Kritiker loben dagegen gerade dieses Verhalten als besonders realitätsnah. Hier konnte «The Last Guardian» von der langen Entwicklungszeit wohl sogar profitieren – schliesslich hat die künstliche Intelligenz gerade in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht.
Und in einem scheinen sich fast alle Kritiken einig: dass der emotionale Gehalt der Geschichte von Trico und seinem Begleiter den Spieler wieder mitten ins Herz treffe. An nicht wenigen Orten liest man deshalb gar von einem Meisterwerk.
«The Last Guardian» ist für die Playstation 4 erschienen.