Von der «ausgerutschten Hand» über schwere Körperverletzung bis zur Tötung: Häusliche Gewalt ist auch in der Schweiz ein Problem, betroffen sind mehrheitlich Frauen, aber auch Kinder. Warum wird jemand gewalttätig gegenüber dem eigenen Nachwuchs? Und wie kann diese Gewaltspirale durchbrochen werden? Gewaltberater Kambez Nuri vom Mannebüro Zürich weiss, worauf es bei der Täterarbeit ankommt.
SRF: Wer schlägt seine Kinder und warum?
Kambez Nuri: Man kann die Menschen nicht in Gut und Böse einteilen. Die Gründe, weshalb jemand gewalttätig wird, sind häufig komplex. Es können Geldsorgen, Beziehungsprobleme, Diskriminierung, Probleme aller Art dahinterstecken.
Faktoren, die dafür sorgen, dass in gewissen Situationen falsche Entscheidungen getroffen werden. Überforderung, Emotionen und Stress spielen dabei eine grosse Rolle – die sogenannten Rollenbilder auch.
Wie meinen Sie das?
Stichwort Männlichkeit. Es sind deutlich mehr Männer, die Gewalt anwenden. Da geht es oft um das Rollenbild als Ernährer und Familienoberhaupt. Um Respekt und Ehre, die es wiederherzustellen gilt.
Worauf kommt es in der Täterarbeit an?
Am Anfang braucht es einen Beziehungsaufbau. Die Menschen müssen sich wohlfühlen, bevor sie anfangen, von sich zu erzählen und von dem, was passiert ist. Oft sehen sie sich in der Opferrolle und versuchen, ihre Gewaltausbrüche zu rechtfertigen. Das gilt es abzubauen und darauf hinzuarbeiten, dass sie Verantwortung für ihre Tat übernehmen.
Was, wenn jemand uneinsichtig ist?
Einsichtig zu sein, ist matchentscheidend für den weiteren Verlauf. Die Gewaltvorfälle werden ganz klar benannt und besprochen. Danach geht es darum, sich Ziele zu setzen und Strategien zu entwickeln, um diese Ziele zu erreichen – zum Beispiel künftige Stresssituationen ohne Gewalt zu bewältigen. Es geht um alternative Verhaltensweisen.
Wie schaffen Sie es, gewalttätigen Personen unvoreingenommen zu begegnen?
Mit Empathie. Wichtig ist, die Tat und den Menschen separat anzuschauen. Ich habe ein Verständnis für Leute, die unter Druck sind und Sorgen haben. Mit ihren Taten aber bin ich nicht einverstanden.
In Schweizer Kinderkliniken wurden 2023 über 2000 Kinder wegen Misshandlungen behandelt. Was sagen Sie zu diesen Zahlen?
Das ist alarmierend. Wir müssen als Gesellschaft Verantwortung übernehmen und diese Probleme angehen. Es gibt viel Nachholbedarf, beispielsweise in der Prävention. Es fehlt aktuell auch am politischen Willen in der Schweiz, in diese Prävention zu investieren – und in die Täterarbeit. Wie bereits erwähnt: Häusliche Gewalt hat mit Rollenbildern zu tun. 75 bis 80 Prozent der Beschuldigten sind männlich. Deshalb ist der beste Opferschutz meiner Meinung nach die Täterarbeit.
Schwäche zu zeigen, ist eine Stärke.
Was können Menschen tun, die selbst zu Gewalt neigen?
Ob Täter oder Opfer: Es gibt inzwischen viele Fachstellen, die sich um jedes Anliegen kümmern. Beratungsstellen für Kinder, Jugendliche, für Frauen, Männer – aber eben auch für potenzielle Täterinnen und Täter.
Meine Erfahrung zeigt, dass es auch diesen Personen guttut, wenn man ihnen zuhört und sie über ihre Probleme sprechen können. Deshalb sage ich: Sucht euch Hilfe – Schwäche zu zeigen, ist eine Stärke.
Das Gespräch führten Judith Wernli und Dario Cantieni.