Es geht um Macht, Kontrolle oder darum, sich Vorteile aller Art zu verschaffen. Gewalt in Familien oder Beziehungen ist in der Schweiz kaum rückläufig, wie die Kriminalstatistik 2023 des Bundesamts für Statistik (BFS) zeigt.
Gesamthaft wurden 19'918 Straftaten registriert – ähnlich wie in den vergangenen Jahren. Die Palette reicht von sexuellen Handlungen über Beschimpfungen, Tätlichkeiten bis zu Tötungsdelikten durch aktuelle oder ehemalige Partnerinnen und Partner.
Inzwischen gibt es aber nicht nur Anlaufstellen für Opfer, sondern auch zahlreiche Anlaufstellen für Täterinnen und Täter oder potenziell Gewalt ausübende Personen. Programme, die dazu da sind, Übergriffe zu verhindern.
«Manche Täter werden von ihrer Frau zu uns geschickt»
Roman Grenal arbeitet in der Beratungsstelle für Gewalt ausübende Personen in Chur. Das kostenlose Angebot besteht seit 2008. Ziel ist es, Kompetenzen zu vermitteln, damit es daheim eben nicht zu Gewalt kommt. «Unsere Einzelberatung erstreckt sich über 16 bis 20 Termine», sagt Grenal. «Meistens beraten wir Männer – hin und wieder melden sich aber auch Frauen bei uns.»
Die Gründe für häusliche Gewalt sind vielfältig. Meist geht es um grosse Gefühle. «Aus der grossen Liebe wird die grosse Enttäuschung. Es gibt Differenzen, Sticheleien – bis es eskaliert.» Auch die Überforderung im Zusammenhang mit Kindern mündet in gewissen Fällen in Gewalt, wie der Fall von Beat* (41) zeigt.
Beat hat drei Kinder im Alter zwischen fünf und zehn Jahren. Er und seine Partnerin waren oft überfordert, beispielsweise wenn sich die Kinder stritten. «Ich habe meinen Kindern gegenüber verschiedentlich Gewalt angewendet», sagt er. Ins Ohr zwicken, an den Haaren packen, Schläge auf Po und Beine, Klaps ins Gesicht. «Dank der Beratung habe ich gemerkt, dass ich einige Verhaltensmuster verändern muss.»
Jede Eskalation, die dadurch verhindert wird, ist ein Schritt in einen glücklicheren Alltag.
So hat er gelernt, sich nicht mehr in jeder Situation durchsetzen zu müssen und die Perspektive der Kinder einzunehmen. «Ich empfehle das Programm definitiv weiter. Jede Eskalation, die dadurch verhindert wird, ist ein Schritt in einen glücklicheren Alltag.»
Wer sein Gewaltproblem erkennt, kann etwas ändern
Beat hat freiwillig am Programm in Chur teilgenommen. Andere Teilnehmende vermittelt die Polizei oder die KESB, die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, als Massnahme an die Beratungsstelle.
In einem ersten Schritt geht es darum, das eigene Verhalten zu verstehen. «Nur wer sein Problem erkennen möchte, kann auch etwas daran ändern», sagt Roman Grenal. Weitere Beratungsschritte beinhalten das Erarbeiten von Kompetenzen, um in schwierigen Situationen gewaltfrei zu reagieren.
Dazu braucht es eine Art Notfallplan, in welchem Risikosituationen und Bewältigungsstrategien enthalten sind. Im letzten Teil geht es in einem Nachkontrollgespräch darum zu prüfen, wie potenzielle Täter mit dem Gelernten umgehen.
Beratungsnachfrage von Tätern und Täterinnen steigt
Das Angebot zeigt nicht nur bei Beat Wirkung. «Die Wahrscheinlichkeit, rückfällig zu werden, ist nach unserer Beratung stark reduziert», so Grenal.
Die Nachfrage hingegen steigt. «Ich denke nicht, dass es grundsätzlich mehr häusliche Gewalt gibt», sagt Grenal. «Aber unsere Beratung ist inzwischen bekannt. Die Leute melden sich häufiger und schneller bei uns.»
*Name geändert