«Stealthing» bezeichnet das heimliche Abstreifen eines Kondoms während des Geschlechtsverkehrs – ohne dass die andere Person einverstanden ist. Im Bundesstaat Südaustralien soll künftig solches Verhalten mit bis zu lebenslanger Haft bestraft werden.
«Mir ist nicht bekannt, dass ‹Stealthing› irgendwo sonst auf der Welt so hart geahndet wird», sagt SRF-Australien-Korrespondent Urs Wälterlin. Das Parlament in Adelaide habe vor kurzem ein Gesetz verabschiedet, das solche Höchststrafen zulassen würde.
«Stealthing» ist ein neuer Begriff, aber kein neues Phänomen. Gemäss einer Studie aus Melbourne aus dem Jahr 2018 sind 32 Prozent der befragten Frauen und 19 Prozent der befragten Männer bereits einmal Opfer davon geworden.
Lücke im Sexualstrafrecht
Wie sieht es in der Schweiz aus? Ein Bundesgerichtsurteil vom Juni 2022 zeigt: In der Schweiz gibt es eine Gesetzeslücke. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass «Stealthing» nicht mit Schändung bestraft werden kann. Denn beim «Stealthing» werden die Opfer getäuscht. Sie können deshalb nicht als widerstandsunfähig oder urteilsunfähig angesehen werden, wie das bei der Schändung der Fall ist.
«Der Entscheid war wichtig, um zu zeigen, dass Verhaltensweisen wie ‹Stealthing› von unserem Strafrecht nicht angemessen erfasst werden können», sagt Strafrechtsexpertin Nora Scheidegger. Es brauche eine Änderung im Sexualstrafrecht.
Ich glaube, dass vielen betroffenen Frauen nicht bewusst ist, dass ‹Stealthing› eine Straftat sein könnte.
Wie viele Menschen in der Schweiz von «Stealthing» betroffen sind, ist nicht klar. Es gibt keine offiziellen Zahlen. «Es kommt selten vor, dass wir Frauen beraten, die aufgrund von ‹Stealthing› zu uns kommen», sagt Susanne Nielen, Leiterin der Opferberatungsstelle Aargau.
Hohe Dunkelziffer in der Schweiz
Susanne Nielen kennt nur wenige Fälle. Das bedeute aber nicht, dass «Stealthing» in der Schweiz kein Problem sei. «Ich glaube, dass vielen betroffenen Frauen nicht bewusst ist, dass das eine Straftat sein könnte», sagt Nielen. Es ist daher anzunehmen, dass es eine grosse Dunkelziffer gibt.
Gemäss Susanne Nielen entscheidet sich ein Grossteil der Opfer von Sexualdelikten für eine Anzeige – obwohl es bei den meisten Sexualstraftaten nie zu einer Verurteilung kommt. Andere entscheiden sich gegen eine Anzeige, weil das Verfahren zu belastend wäre.
Sexualstrafrecht wird angepasst
Momentan befasst sich das Parlament mit der Revision des Sexualstrafrechts. Der Nationalrat berät voraussichtlich in der Wintersession Anfang Dezember darüber. «Stealthing» soll nach der Revision strafbar werden.
Gemäss Strafrechtsexpertin Nora Scheidegger wird es kein eigenes Gesetz dafür geben wie in Australien: «Das ‹Stealthing› soll als Sex gegen den Willen des Opfers verstanden werden, also als ein Verstoss gegen die 'Nein heisst Nein'-Regel und unter dieser Regel soll es künftig auch strafbar sein.»