Zum Inhalt springen

Jeder Rappen zählt Haymanot: «Nächtelang weinte ich vor Angst, ich könnte sterben»

Im Alter, in dem Schweizer Kinder zum ersten Mal alleine ins Kino dürfen, musste Haymanot alleine ihr Heimatland Äthiopien verlassen. Sie war im Gefängnis, wurde bedroht und ertrank beinahe. Hier erzählt sie von ihrer Flucht.

So könnt ihr weiterhin Spenden

Box aufklappen Box zuklappen

«Jeder Rappen zählt» sammelt dieses Jahr für Kinder allein auf der Flucht. So könnt ihr weiterhin spenden.

Im Alter von 12 Jahren gehen die meisten Mädchen und Buben vielleicht zum ersten Mal allein ins Kino, kaufen sich zum ersten Mal ein Bravo-Heftli oder machen sich zum ersten Mal Gedanken, welchen Beruf sie irgendeinmal ausüben möchten.

Haymanot aus Äthiopien hatte mit 12 Jahren ganz andere Herausforderungen in ihrem Leben zu bewältigen. In ihrem Land herrschte eine grosse Wasserknappheit und Hungersnot.

Ihre Eltern entschieden sich, ihre jüngstes Kind und einzige Tochter mit einem über 40 Jahre alten Mann zu verheiraten. Haymanot beschloss darauf, ihre Familie zu verlassen. Sie wollte in die Schule gehen, einen Beruf erlernen und selber bestimmen, wen sie einmal heiraten möchte. Sie floh in den Sudan.

Im Gefängnis stritten sich die Menschen um Wasser, weil sie so Durst hatten.
Autor: Haymanot

Da sie aber keine Ausweispapiere auf sich trug, sperrte sie die Polizei in ein Gefängnis. «Im Sudan ist es immer heiss», erzählt Haymanot, «im Gefängnis mussten wir alle zusammen auf dem heissen Boden ausharren. Wir hatten kein Essen und nur wenig Wasser.» Es gab Aufstände. Menschen kämpften um die wenigen Tropfen Wasser.

Sechs Monate lebte Haymanot – damals 15 Jahre alt – im Gefängnis. Nur durch Glück kam sie raus. Ihre Chefin, die ihr vor dem Gefängnis im Sudan Arbeit anbot, gab sich als ihre Mutter aus, zahlte der Polizei Geld für die Freilassung von Haymanot.

Nächtelang habe ich nur geweint vor Angst, meine Chefin könnte mich umbringen.
Autor: Haymanot
Audio
Kurzporträt von Haymanot
aus Jeder Rappen zählt vom 12.12.2016.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 25 Sekunden.

Doch auch die Chefin meinte es mit dem Mädchen nicht gut. Sie zwang Haymanot ihren christlichen Glauben aufzugeben und Muslimin zu werden. «Ich hatte Angst, sie würde mich umbringen, wenn ich ihr nicht gehorchte», sagt Haymanot. Sie zupft an ihrem Schal, knetet ihre feinen Hände.

Sie habe jede Nacht geweint. Bis sie sich eines Tages entschloss, nach Libyen zu fliehen. Dort konnte sie arbeiten, Geld verdienen und sich so einen Platz auf einem Schlepperschiff erkaufen. «Wir waren über 300 Menschen vier Tage lang auf einem kleinen Schiff und plötzlich fuhr es nicht mehr», erzählt sie. Ein italienisches Schiff rettete die Menschen vor dem Ertrinken. Auch Haymanot kam sicher in Europa an.

Sie hatte schon mehrere Male Glück in ihrem Leben. Umso dankbarer ist sie nun in der Schweiz zu sein. «Ich bin der Schweiz so dankbar, dass ich das Glück erhalten habe, hier zum ersten Mal eine Schule besuchen zu können», sagt sie.

Haymanots neue Heimat liegt im Aargau

Haymanot lebt in einer Asylunterkunft für Frauen im Aargau, besuchte das Netzwerk Asyl im Aargau, absolviert heute eine Regelklasse in einer Schule für Berufsbildung in Aarau. Sie möchte gerne irgendwann eine Lehre im Pflegebereich machen. «Ich glaube, ich habe einen guten Draht zu älteren Menschen», sagt sie. Dafür büffelt sie nun eifrig Deutsch.

Steckbrief von Haymanot

Mein Lieblingsessen Lasagne
Meine Hobbys sind
Kochen, Velo fahren und mich mit Freunden treffen
Mein Traumberuf ist
Pflegerin in einem Altersheim.
Mit 1 Million Franken würde ich
mir eine eigene Wohnung leisten.
Mein grösster Wunsch:
eine Lehre machen und dann im Pflegebereich arbeiten zu können.

Meistgelesene Artikel