«Bin ich asexuell?» – das hat sich Martina* in den letzten Jahren immer wieder mal gefragt . Immer dann, wenn sie wieder daran herumstudierte, warum alle anderen Beziehungen hatten, nur sie nicht. «Was funktioniert bei mir nicht, was ist bei mir falsch?», fragte sie sich.
Wie wäre es mit einer Surrogat-Partner-Therapie?
Kurz vor dem 40. Geburtstag entschliesst sich Martina zu handeln. Sie meldet sich bei der Winterthurer Sexualtherapeutin Lucianna Brändle. Gemeinsam kommen sie zum Schluss: Martina ist nicht asexuell, ihr fehlt «nur» die Erfahrung. Und die Sexualtherapeutin macht ihr einen speziellen Vorschlag: Wie wäre es mit einer Surrogat-Partner-Therapie? Das sei gerade bei Singles eine bewährte Methode, erklärt Lucianna Brändle: «Ich komme so viel näher an die Probleme meiner Klienten und Klientinnen, verbal bin ich eingeschränkt.»
Martina ist ein neugieriger Mensch und sagt nach einer Denkpause zu. «Wenn ich einen Mann kennenlerne und mich in ihn verliebe, dann geht das ganze Kopfkino los.» Sprich, was er erwartet, was sie in ihrem Alter alles bereits kennen und können sollte und wie weit er wohl gehen will. «Wenn ich also nun mit einem Mann das alles ausprobieren kann und kein Kopfkino habe, ist doch das perfekt».
Angelo wird zum Ersatzpartner auf Zeit
Von nun an trifft sich Martina alle zwei Wochen mit ihrer Therapeutin Lucianna Brändle und dazwischen verbringt sie eine Stunde mit Angelo, ihrem Ersatzpartner auf Zeit. Angelo (55) ist einer von acht Männer und Frauen, die Lucianna Brändle im vergangenen Jahr zu Surrogat-Partnerinnen und -Partnern ausgebildet hat. Er führt Martina Schritt für Schritt an die Sexualität heran.
Erst mit einfachen Übungen, bei denen es vor allem um Vertrauensaufbau geht. Die Hände voneinander berühren, mit verbundenen Augen spüren, sich streicheln. In einer zweiten Phase sind beide bei diesen Treffen nackt, lernen sich und den anderen Körper kennen. In der letzten Phase wird es frei und intuitiv. «Es geht in Richtung echte Beziehung und was da im Bett stattfinden kann», erklärt Martina.
«Für mich war es sehr befreiden zu erleben, dass ich das kann und mich darauf einlassen kann», sagt Martina.
Und was, wenn sich jemand verliebt?
In der Schweiz ist die Surrogat-Partner-Thearpie kaum verbreitet. Kritische Stimmen monieren die Vermischung von Therapie und gelebter Sexualität. Wichtig sei ein klarer Rahmen, erklärt Sexualtherapeutin Lucianna Brändle. Die Modell-Beziehung finde nur in den abgemachten Stunden statt, Kontakt ausserhalb sei nicht erlaubt. Und was, wenn sich jemand verliebt? Das könne vorkommen, erklärt Brändle, auch in einer Gesprächstherapie. Wichtig sei dann, der richtige Umgang damit.
Ein Jahr lang hat sich Martina mit Angelo getroffen, seit einem Monat ist nun Schluss. Martina bilanziert: «Es war nicht ganz günstig», schliesslich musste sie die Therapie und die Stunden mit Angelo bezahlen. «Aber», fügt sie lachend hinzu «es hat sich gelohnt, was kann ich besseres machen, als in mich selbst investieren.»
Mehr zu «Absolute Beginners», zu Martina* und ihren Erfahrungen in der Surrogat-Partner-Therapie hörst du in der neuen Folge unseres Hintergrundpodcasts «Input».
*Name geändert
Dem Leben in der Schweiz auf der Spur - der Podcast «Input» liefert jede Woche eine Reportage zu den Themen, die Euch bewegen.
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