Über 80 Prozent der Kinder in Industrieländern haben vor dem zweiten Geburtstag einen digitalen Fussabdruck. Das zeigte eine Untersuchung 2010. Das UN-Kinderhilfswerk Unicef schätzt, dass ein 12-jähriges Kind heute durchschnittlich 1'300 Fotos von sich selbst in den sozialen Medien findet.
Für das Phänomen, dass Eltern ihre Kinder in den sozialen Medien darstellen, gibt es den Begriff «Sharenting». Er setzt sich aus den englischen Wörtern «share» (teilen) und «parenting» (Kindererziehung) zusammen.
Wenn Eltern Bilder posten: Das sagen die Jugendlichen
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Bild 1 von 3Legende: Dominique (18) «Meine Mutter hat auf Facebook Familienfotos geteilt, ohne zu fragen. Es hat mich nie gestört, weil nur Bekannte meiner Mutter sie sehen. Ein No-Go wären Bilder, auf denen ich schlecht aussehe. Es schadet nicht, wenn Eltern vorher fragen. Es ist aber auch anders nicht schlimm, wie kleine Kinder keine Handys haben und die Bilder nicht sehen.» SRF
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Bild 2 von 3Legende: Elia (17) «Bei uns wurden viele Fotos gemacht, aber nie geteilt. Für mich stimmte das. Bei Bildern im Netz ist für mich eine Grenze überschritten, wenn ich nicht gefragt wurde erstens beim Fotografieren und zweitens beim Teilen. Ich würde Eltern raten, viele Bilder zu machen, sie aber erst zu teilen, wenn das Kind genug alt ist, um selbst zu entscheiden.» SRF
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Bild 3 von 3Legende: Kim (18) «Meine Mutter hat auf Facebook viele Familienbilder geteilt. Je älter ich wurde, desto wichtiger wurde mir Privatsphäre. Und ich will im Jetzt leben, nicht posieren. Heute würde ich Bilder, die mich als sehr kleines Mädchen zeigen, gerne löschen. Eltern rate ich: Macht ein Fotoalbum. Da ist der Kreis von Menschen mit Einblick kontrollierter.» SRF
Das Familienleben öffentlich machen
Manchmal landen Kinderfotos über Familien-, Papa- oder Mama-Blogs im Netz. Oder, wenn Eltern ihre Kinder zu Influencern machen. Doch auch abseits dieser Spezialfälle posten Eltern Bilder ihrer Kinder.
Viele Eltern kennen heute gar keinen anderen Weg als Facebook oder Instagram.
In vielen Familien sei das Posten von Kinderfotos selbstverständlich, meint Christian Bochsler, Mediator und Mediencoach. Er berät Jugendliche sowie ihre Eltern im Umgang mit sozialen Medien: «Viele Eltern kennen heute gar keinen anderen Weg als Facebook oder Instagram, um schöne Familienmomente mit Bekannten zu teilen.» Die Risiken würden meist nicht bedacht.
Warnung von Kinderschutz-Organisationen
Unicef warnte in einem Bericht 2017 ausdrücklich vor den Gefahren durch Sharenting. Auch die Stiftung Kinderschutz Schweiz hat bereits Kampagnen durchgeführt, um auf die diversen Risiken aufmerksam zu machen.
Zu diesen Risiken gehört, dass die Bilder dem Ansehen der Kinder schaden können bspw. bei der späteren Jobsuche. Sie können in falsche Hände geraten, bspw. von Pädophilen missbraucht werden. Denn grundsätzlich gilt: Ist das Foto im Netz, geht auch die Kontrolle über seine Verbreitung und Verwendung verloren. Und dann können die Bilder, speziell von peinlichen Situationen, Mobbing befeuern.
Eltern sollten sich fragen: Würde ich dieses Bild meines Kindes als Plakat am Zürcher Hauptbahnhof aufhängen?
Checkliste für Eltern
Kinderschutz Schweiz hält eine Checkliste mit Fragen bereit, welche Eltern vor dem Posten eines Bildes durchspielen sollten:
- Habe ich das Recht oder Einverständnis, das Bild zu verwenden? Wenn Nein, sollte das Bild nicht geteilt werden. Bei kleineren Kindern müssen die Eltern abwägen, welches der richtige Entscheid im Sinne des Kindeswohls ist.
- Ist das Kind auf dem Bild erkennbar? Wenn Ja, sollte das Bild nicht geteilt werden.
- Bringe ich das Kind durch das Bild in Gefahr? (bspw. durch sichtbare persönliche Daten wie Wohnort) Wenn Ja, sollte das Bild nicht geteilt werden.
- Stelle ich das Kind mit dem Bild bloss? (bspw. in einer peinlichen Situation) Wenn Ja, sollte das Bild nicht geteilt werden.
- Zeige ich das Kind in einer intimen Situation, unbekleidet oder in verfänglicher Pose? (bspw. auf dem Klo, in Unterhose, etc.) Wenn Ja, sollte das Bild nicht geteilt werden.
- Würde ich dasselbe Bild von mir selbst in den sozialen Medien sehen wollen? Wenn Nein, sollte das Bild nicht geteilt werden.
Zuletzt nennt die Stiftung eine weitere Frage, welche sich Eltern vor dem Teilen von Kinderbildern gut überlegen sollten: Bringt es meinem Kind etwas, wenn ich dieses Bild teile? Oder geht es letztlich um mein eigenes Bedürfnis?
Oftmals helfe auch der Vergleich mit der analogen Welt, ergänzt die auf Kindesschutz spezialisierte Juristin Rita Jedelhauser: «Eltern sollten sich fragen: Würde ich dieses Bild meines Kindes als Plakat am Zürcher Hauptbahnhof aufhängen? Und zwar für alle sichtbar, und nicht nur für ein paar Tage, sondern für immer.»
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