Ob im Radio, die Playlist auf dem Smartphone, im Film oder weil man selber singt oder ein Instrument spielt: Ein Alltag ohne Musik ist für viele Menschen nicht vorstellbar, denn sie kann Emotionen und Erinnerungen auslösen. Für gehörlose oder schwerhörige Personen ist die Faszination von Musik aber schwer nachzuvollziehen.
Eine, die gehörlosen Personen Musik zugänglich macht, ist Lilly Kahler. Sie ist Gebärdensprachdolmetscherin und übersetzt regelmässig Konzerte und Musikveranstaltungen. Organisiert werden diese von MUX, dem Verein für Musik und Gebärdensprache.
Das erste Konzert in Gebärdensprache
Der Sänger Gölä war mitverantwortlich dafür, dass im Jahr 2000 das erste Konzert in Gebärdensprache zugänglich wurde. «Er war oft in den Medien, man sah ihn im Fernsehen, in Zeitungen und Zeitschriften. Gehörlose Personen fragten nach: Wer ist das? Warum ist er berühmt?», erinnert sich Kahler.
«Da sie seine Musik nicht hören konnten, verstanden sie auch den Rummel um ihn nicht.» Kurz darauf wurde ein Gölä-Konzert in Gebärdensprache gedolmetscht. Seither sind dank des Vereins MUX über 80 Musik-Anlässe für Gehörlose zugänglich geworden, darunter auch Konzerte von Patent Ochsner, Bligg und Sina.
Hörende Personen stellen sich vor, dass die Song-Texte in Gebärden übersetzt werden. Doch es ist viel komplexer. «Der Musikstil, die Instrumente, Reaktionen aus dem Publikum, die Show auf der Bühne, Schnelligkeit, Rhythmus, Lautstärke – das alles fliesst in die Gebärdenübersetzung mit ein», erklärt sie.
Pro Lied benötigen wir vier bis sechs Stunden Vorbereitungszeit, um es in Gebärdensprache zu übersetzen.
Sie tauscht sich mit der Band aus, recherchiert, liest Songtexte und hört sich immer wieder die Lieder an. Dementsprechend aufwendig ist es, einen einzigen Song in Gebärdensprache zu übersetzen: «Pro Lied benötigen wir etwa vier bis sechs Stunden Vorbereitungszeit.» Hochgerechnet auf ein ganzes Konzert kommt man da auf rund 80 Stunden.
Musik für alle zugänglich
Als Dolmetscherin befasst sich Kahler so intensiv mit der Musik, dass sie auch Wochen nach einem Konzert noch Ohrwürmer hat – oder besser gesagt Augenwürmer: «Wenn gehörlose Personen immer wieder Gebärden vor den Augen haben und diese nicht mehr aus dem Kopf gehen, nennen wir das Augenwürmer – sozusagen das Pendant der Ohrwürmer, wie es Hörende kennen.»
Dank der Übersetzung in Gebärdensprache kann ich Musik sehen.
Ein regelmässiger Konzertbesucher ist der gehörlose Andy Dennler. «Ich finde es schön, denn sonst würde ich nichts von der Musik mitbekommen. Dank der Übersetzung kann ich die Musik sehen», erklärt er.
So geht es auch Silvia Ruf-Persico: «Wenn ein Konzert übersetzt wird, geht die Musik durch mich durch.» Es ist wichtig, dass auch Gehörlose es miterleben und daran teilnehmen können. Aber auch Hörende würden davon profitieren, meint Silvia: «Sie entwickeln mehr Verständnis gegenüber der Gebärdensprache und gehörlosen Personen.»
Ohne Übersetzung ist ein Konzert für mich todlangweilig.
Kahler werde oft gefragt, warum man überhaupt Konzerte in Gebärdensprache übersetzt. Für sie ist das klar: «Ganz einfach: Gleichberechtigung.» Es gibt so viele Situationen im hörenden Alltag, in dem Musik vorkommt, wie Hochzeiten, Beerdigungen, Betriebsanlässe und viele mehr. Oder vielleicht ist die Familie der gehörlosen Person sehr musikalisch und besucht gerne Musikveranstaltungen: «Da möchte die gehörlose Person auch Teil davon sein und diese Erlebnisse mit der Familie teilen können.»