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Nick Cave auf der Bühne im Hallenstadion
Legende: IMAGO / Gonzales Photo

Live im Hallenstadion Nick Cave: Der Hohepriester der Intensität

Mit viel Charisma veranstaltet Nick Cave ein grossartiges Rockkonzert und so etwas wie eine therapeutische Massenseelsorge.

Kaum betritt er die Bühne, ist sie da. Diese elektrisierende und ergreifende Atmosphäre. Nick Cave benötigt dazu kein grosses Bühnen-Brimborium, alleine seine Bühnenpräsenz zieht einen sofort in den Bann. Mit seinem adretten Anzug und den schwarzen, streng nach hinten gekämmten Haaren strahlt er eine Mischung aus Eleganz und Abgründigkeit aus. Nicht zu Unrecht wurde er auch schon als Hohepriester der Versehrten bezeichnet.

NIck Cave der inbrünstig ins Mikro singt
Legende: Inbrunst und Hingabe à la Cave. IMAGO / Gonzales Photo

Gewalt, Sünde, Tod, Erlösung

Er, der in der Jugend mit wütendem, rohem und chaotischem Post-Punk die Bürger schreckte. Und später dann mit seiner tiefen, markanten Stimme zum Dark-Crooner mutierte, der vorzugsweise Themen wie Gewalt, Sünde, Tod und Erlösung besang.

Gleich der erste Song «Frogs» steht programmatisch für den folgenden Konzertabend. Nick Cave webt darin eine düstere Spoken-Word-Geschichte, in der Freude und Leid eng miteinander verknüpft sind. Die paradoxe Natur der menschlichen Existenz ist das, was den 67-Jährigen in vielen seiner Songs umtreibt.

Charisma und Intensität

Cave leuchtet in die dunklen Ecke der menschlichen Seele, in der Hoffnung, dort etwas zu finden, das dem ganzen Tun auf Erden einen Sinn gibt. Er tut dies mit sehr viel Charisma, Ernsthaftigkeit und Intensität. Mal singt er allein am Klavier und offenbart dabei eine zutiefst berührende Verletzlichkeit. Dann wieder mutiert er zum schreienden und keuchenden Teufelsbeschwörer, der wie ein Berserker über die Bühne wirbelt.

Nick Cave auf der Bühne der sich zum Publikum herunter beugt
Legende: Nicht nur Konzert, sondern spirituelle Zusammenkunft. IMAGO / Gonzales Photo

Dabei bewegt sich Nick Cave oft nahe am Publikum, drückt Hände und streckt die Arme aus, als ob er jeden einzelnen erreichen möchte. Das erzeugt Nähe. So wird aus dem Konzert nicht einfach nur eine Show, sondern eine spirituelle Zusammenkunft.

Dualität

Auf der Setliste stehen viele Songs des aktuellen 18. Albums «Wild God». Darauf schlägt Nick Cave freudigere Töne an als auch schon. «It's not like the records I usually make» («es ist nicht wie die Alben, die ich normalerweise mache») , sagt er selbst. Allerdings sind auch diese Songs immer noch mit der ihm typischen Melancholie durchzogen. Wenn Cave in «Cinnamon Horses» davon singt, dass das Leben «very, very sweet» sei, schwingt da auch viel Schmerz mit. Diese Doppelnatur ist es, welche die stärksten Momente des Abends kreieren.

Die perfekte Band

Die gleiche Hingabe wie ihr Sänger legt auch die sechsköpfige Truppe The Bad Seeds an den Tag – allen voran Multiinstrumentalist Warren Ellis. Die Band ist eine perfekt funktionierende Einheit. Sie kreiert dynamische und hypnotische Soundlandschaften, kann aber auch in entfesselte, lärmige Klangexperimente ausbrechen. Die Dualität zwischen Zartheit und roher Kraft bereitet den perfekten Teppich, auf dem Cave seine Stimme entfalten kann.

Intensives Konzerterlebnis

Es ist ein intensiver Konzertabend durch emotionale Höhen und Tiefen, der einen aufgewühlt und beglückt zurücklässt. Was Nick Cave mit seiner musikalischen Sinnsuche veranstaltet, erzeugt ein Gefühl der Verbundenheit und Katharsis. Und die Gewissheit, gerade ein grossartiges Rockkonzert und so etwas wie eine therapeutische Massenseelsorge erlebt zu haben.

Radio SRF3, 17.10.2024; 10:50Uhr

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