Nick Cave fasziniert. Für Matthias Surall so sehr, dass er über Caves' Werk promovierte. Denn hier begegne ihm eine experimentelle, freie und aus den grossen Fragen des Lebens geborene Theologie. Eine ernst zu nehmende Theologie, wie Matthias Surall betont.
Der Musiker selbst sagt, sein Werk sei «völlig ironiefrei» zu verstehen. Nick Cave meint es also ernst mit der Frage nach Gott.
Inspiration Bibeltext
Die Initialzündung, sich vertiefter mit Caves Werk zu befassen, waren für Matthias Surall der Song und das Album «Dig, Lazarus, Dig!» aus dem Jahr 2008. Dort versetzt Cave den biblischen Lazarus, der in Johannes 11 durch Jesus von den Toten auferweckt wird, ins New York der 1970er-Jahre.
«Letztlich geht es in dem Song um die Frage, wie wir als postmoderne Gesellschaft mit dem Tod umgehen».
Keine Schönwettertheologie
In einem anderen Lied fragt Nick Cave, wie Gott das Leid in der Welt zulassen könne: «We Call Upon The Author». Eine urtheologische Frage, die sogenannte «Theodizee». Nick Cave frage, zweifle und ringe mit Gott – und zwar im Ernstfall des Lebens, nicht an den sonnigen Tagen. Etwa auf dem Album «Murder Ballads». Dort blieben, wenn man alle Todesfälle der ganzen Platte zusammenzählt, über 50 Leichen zurück, so Matthias Surall schmunzelnd.
Das letzte Stück ist ein Cover eines Bob Dylan-Songs, das Nick Cave transformiert. Darin singen Menschen, die vorher im selben Album gemeuchelt wurden. Sie feierten quasi «fröhliche Auferstehung».
Aus Schicksalsschlägen werden Songs
Die Auseinandersetzung mit dem Tod wurde ab 2015 drängender, existenzieller. Damals starb einer von Nick Caves Söhnen, 2022 ein zweiter. Die Trauer habe seinen ganzen Körper durchdrungen, beschreibt er in einem Interview.
Er entschied sich, sich verletzlich zu machen, mit Menschen darüber zu sprechen, seine Trauer zu zeigen. Auch in seinem Blog «The Red Hand Files», in dem er Fragen vieler Menschen beantwortet.
Cave: ein ernsthaft Zweifelnder
Nick Cave sieht sich als Zweifelnder, nicht als Glaubender – das sagt er immer wieder. Seine Texte spielten sich in dem Raum ab, der vor dem Glauben liege. Sie bewegten sich «towards God», in Richtung Gott.
Und dieser Gott scheint transformierbar. In grosser künstlerischer Freiheit bricht Nick Cave mit üblichen Gottesbildern.
Der «Wild God» im aktuellen Album ist nicht erhaben oder mächtig, nein: Er fliegt, er saust, er schwimmt durch die Welt. Mit langen Haaren, alt und krank.
Ein wilder Gott, inmitten von Leichengeruch und Tyrannei, ein suchender Gott, der schliesslich zu einem lyrischen «Wir» wird. Die Grenzen zwischen Göttlichem und Menschlichem lösen sich auf.
«Der Text ist kryptisch, er offenbart sich nicht einfach», so Theologe und Cave-Kenner Matthias Surall.
Vielmehr spiele Nick Cave mit Bildern, Versatzstücken und Wortkombinationen. Und mit der Frage, wer dieser wilde Gott überhaupt sei. Die Frage nach Gott, so lässt sich vielleicht herauslesen, sei nicht zu beantworten. Vor allem aber: Sie ist nicht zu trennen von der Frage, wer der Mensch ist.