Bob Dylan erobert unsere Kinoleinwände. Schon wieder. Um es vorwegzunehmen: «A Complete Unknown» macht vieles besser als andere Musik-Biopics. Dank des Fokus auf Performances und überzeugende schauspielerische Leistungen hebt er sich positiv ab.
Doch warum enttäuschen so viele andere Musikfilme? Wir suchen Gründe:
1. Alle Musikfilme sind gleich
Strukturelle Experimente im Musikfilm? Fehlanzeige. Stattdessen folgt fast jedes Biopic demselben vorhersehbaren Muster: die schwierige Kindheit, Eltern, die mit der exzentrischen Persönlichkeit ihres Kindes nicht klarkommen, der kometenhafte Aufstieg, der drogenbedingte Absturz und das grosse Comeback. Klingt vertraut? Ja, weil es die Geschichte von nahezu jeder Musikerin und jedem Musiker ist.
Dazu kommt die «Wir schreiben aus der Zukunft»-Perspektive: Klar, amüsiert es, wenn ein Manager Queen sagt, dass «Bohemian Rhapsody» niemals Erfolg haben wird. Aber das funktioniert nur, weil wir bereits wissen, dass der Song später ein Welthit wird. Solche Momente sind nicht organisch, sondern billig konstruierte Insider-Gags.
2. Die Familie und das Management bestimmt
In Zeiten, in denen Bands händeringend nach neuen Einnahmequellen suchen, kann ein Biopic ein wichtiger Boost für Streamingzahlen und Merchandise sein. «A Complete Unknown» zeigt dies aktuell: Alleine in den USA stiegen Bob Dylans Streamingzahlen in der Woche nach Kinostart um bis zu 250 %.
Das funktioniert aber nur, wenn der Film das Publikum mit einem positiven Gefühl zurücklässt. Also werden Biopics oft geschönt. Freddie Mercurys exzessive Eskapaden? Gibt’s im Film nur in stark abgeschwächter Form. Amy Winehouses Vater? Plötzlich ein liebevoller, fürsorglicher Mann, der nur das Beste für seine Tochter wollte.
3. Songwriting ist selten cinematisch
Den kreativen Prozess filmisch spannend einzufangen, ist schwierig. Songwriting ist oft entweder ein persönlicher, intimer Akt oder ein langwieriges Herumpröbeln im Studio. Magische Momente, in denen ein ikonischer Song aus dem Nichts entsteht, sind selten. Meist sind Hits das Resultat harter Arbeit, nicht plötzlicher Geistesblitze.
4. Zu viel Rekonstruktion
Natürlich ist es faszinierend, legendäre Konzerte im Kino nachzuerleben. Doch es gibt eine Grenze: Je näher eine Inszenierung dem Original kommt, umso mehr stören Imperfektionen.
Nochmals zum Queen-Film «Bohemian Rhapsody»: Die Nachstellung des «Live Aid»-Auftritts mag handwerklich gelungen sein, doch das Originalvideo bleibt nur einen Klick entfernt. Egal wie perfekt die Darstellenden die Bewegungen imitieren – es bleibt eine Kopie, die nie die Energie des Originals erreicht.
5. Kein Tiefgang
Die wenigsten Musikfilme haben ein Interesse daran, sich wirklich mit der portraitierten Person oder Band auseinanderzusetzen. Viel zu oft bleibt man an der Oberfläche, während die Lebensgeschichte wie eine Wikipedia-Zusammenfassung abgespult - oder mittels dramaturgischen Anpassungen unnötig aufgebauscht wird: Songs werden Jahre vor ihrer eigentlichen Entstehung geschrieben, Konflikte künstlich aufgebläht, Band-Trennungen inszeniert, die es nie gab.
Jedem mutigen Biopic wie «I’m Not There» – Todd Haynes’ Dylan-Film, in dem sechs verschiedene Schauspielende, darunter Cate Blanchett, die Hauptfigur verkörpern – stehen unzählige uninspirierte Werke gegenüber.