Wenn Hecht die Netze auswerfen, ziehen sie diese seit ein paar Jahren proppenvoll an Bord. Es ist unglaublich, wie diese Band - mit einer DNA-Mixtur aus Coldplay, DJ Bobo, Roger Federer und «bunter Abend» – die Massen erreicht. Unglaublich, aber erklärbar.
Nein, der Bandname ist nicht Teil des Erfolgsrezepts dieser Band. Hecht könnten sich auch Hallo Velo, Flamingo oder Spaghetti-Plausch nennen. Es gibt unzählige erfolgreiche Bands mit schlechten Namen. Genauso wie es erfolglose Bands mit irgendwie guten Namen gibt. Bandnamen sind so gut wie nie matchentscheidend. Es ist auch weder Stefan Bucks Stimme noch die Virtuosität der Musiker, die Hecht zum Schweizer Pop-Phänomen machen.
Was Hecht ausmachen, liegt irgendwo zwischen Fleiss, harter Arbeit, gekonnter Analyse, grossem Enthusiasmus, perfekter Imperfektion, Spass, Risikofreude, glaubwürdiger Freundschaft, etwas Holprigkeit und ganz viel konsequent gelebten Schweizer Werten.
Coldplay, DJ Bobo, Roger Federer
Von Coldplay übernahmen Hecht die Idee, dass es an einem Konzert darum geht, alles miteinander zu verschmelzen. Band und Fans sollen eins werden und sein und dies bitte so bunt wie möglich. DJ Bobo lieferte die Blaupause dafür, wie man Bescheidenheit als Marketingkonzept einsetzt. Und durch Federer wissen Hecht, dass man über eine längere Zeitspanne nur gewinnt und erfolgreich ist, wenn man immer wieder etwas Neues in der Hinterhand hat.
Nebst Tugenden wie Fleiss, Lust und Hartnäckigkeit verfügen Hecht auch über eine unschätzbar wertvolle Komponente ihres Erfolgsrezepts: Einzigartigkeit. Dabei hilft nicht zuletzt, die für Hecht typische Holprigkeit, die in Stefan Bucks Texten immer wieder auftaucht. Nicht selten scheint eine Songzeile eigentlich zu vielsilbig, für die ihr zur Verfügung stehende musikalische Struktur. Bucks Umgang damit: Er passt die Zeile nicht textlich an, sondern betont sie anders. Er quetscht den Satz, den er so haben will, wie er eben ist, in den sakrosankten Rhythmus des Arrangements. Eine ungewohnte Technik. Stolperstein-Alarm. Aber der Hechtsänger stolpert nicht. Er holpert gekonnt, gewollt und routiniert über die Passage. Das Resultat: Wiedererkennbar- und Unverwechselbarkeit.
Hecht sind unendlich schweizerisch
Hecht machen so viel richtig, dass ich gar nicht weiss, wo ich anfangen soll. Vielleicht beim immer schön betonen, dass das, was man hier als Band gerade erlebt, alles andere als selbstverständlich ist. Beim Demut zeigen. Nie abheben. Eben bei all den Komponenten, die in der Schweiz zwingend scheinen für eine erfolgreiche Karriere in Kombination mit Sympathie-Punkten aus der Bevölkerung. Sogar Weltstar Federer musste diese Disziplin bis zur Unerträglichkeit beherrschen und zelebrieren, um nicht in der «Hesch s’Gfühl sigsch öppis bessers»-Ecke zu landen.
Um erfolgreich und beliebt zu sein, darf man seine Stiefel in diesem Land nie ganz aus dem Misthaufen ziehen. Nur so ist es möglich, ein Publikum zu dirigieren. Anders als der deutsche Rapper Marteria, der seine Fans im Befehlston zu ihrem Glück zwingt, grinst Stefan Buck seinen Fans die Lust am Gemeinschaftserlebnis ins Gesicht.
Rocken auf Augenhöhe
Bei Hecht basiert und passiert die ganze Show auf Augenhöhe mit den Fans. Immer wieder wechseln sie die Perspektive. Werden selbst zum Publikum. Schauen sich selber zu und staunen über das, was sie hier gerade aufführen. Dabei grinsen sie wie kleine Jungs, die ihre selbstgebaute Stinkbombe zünden. Die kindliche, spitzbübische Freude ist ansteckend. Und sie ist echt. Ich kaufe es ihnen ab, wenn sie kaum fassen können, dass zwei-, fünf-, zehn-, zwanzig- oder dreissigtausend Menschen ihre Songs von Anfang bis Ende lauthals mitsingen und sie dabei unterstützen, die neuste hechtsche Live-Betriebs-Idee umzusetzen und abzufeiern.
Begleitet wird das rauschende Fest musikalisch mit Anstand und gut schweizerischer Zurückhaltung. Sogar der Gitarrensound beim Gitarren-Solo, dem Angeber-Part eines jeden Rockkonzerts, ist unspektakulär eingestellt und unterstützt die Nahbarkeit der Band. Ja nicht protzen. Eher auf dem Puch Maxi um die Häuser fahren und dabei so tun, als sässe man auf einer Harley. Dazu die richtigen Faxen machen. Das kommt an. Das ist die Schweiz. Wär’s tatsächlich eine Harley, gäbe es Reklamationen, Neid und im schlimmsten Fall Ablehnung. Eine Abfuhr. Abgefahren. Nicht?
Die Gute-Laune-Kanonerie
Müsste ich Hecht in einem Bild darstellen, würde ich ein seeeehr breites Grinsen zeichnen. Hier wird die gute Laune und die Positivität zelebriert. Da tritt nicht einfach eine Band mit ihren Songs, die meisten davon amtliche Hits, auf. Hecht sind ein Rundum-Paket. Die Konfetti-Kanone der Schweizer Musikszene, welche es bei jedem Auftritt schafft, ihre Fans für zwei Stunden in eine andere Welt zu holen. Um das zu erreichen, machen sie bewusst die richtigen Fehler. Sie haben z.B. das Tanzen als Nicht-Tänzer in ihren Shows institutionalisiert. Ein Hochseilakt mit dem Risiko auf dem Parkett der Lächerlichkeit zu landen. Ein Hochrisiko-Unterfangen. Gelingt der Stunt – und bei Hecht gelang er – ist es ein Trumpf, der kaum an Kraft verliert.
Das Konzert beginnt vor der Show
Eine weitere Disziplin, die Hecht beherrschen, wie kaum eine andere Schweizer Band, ist die Social-Media-Rampe auf ihre Shows. Diese Band hat keinen Bock vor einem Konzert hinter dem Vorhang zu stehen und sich zu fragen, wie das heute wohl wird in Sursee, Aarau oder dem Zürcher Hallenstadion. Die Band schwört ihre Fans auf die kommenden Shows ein. Nimmt sie mit an Bord. Man bereitet gemeinsam die grosse Party vor. Bleibt dabei souverän Gastgeber und betont entsprechend, dass diese Rolle ohne Gäste hinfällig wäre. Das ist clever – aber kein kopierbares Konzept. Denn, obwohl ich mir sicher bin, dass es auch bei Hecht den «verdammt wir brauchen noch etwas für Instagram»-Satz gibt, wirkt es nie verzweifelt oder heuchlerisch und schon gar nicht lustlos. Sogar während der Pandemie schaffte es die Band, ihre Fangemeinde zu bedienen ohne auch nur einen Hauch der damals allgegenwärtigen Frustration der Musik- und Konzertbranche zu versprühen.
Hecht ist ein Gefühl
Hecht sind längst mehr als eine Band. Hecht ist ein Gefühl. Die in schwarz-weiss gehaltenen Kurzarm-Hemden von Stefan Buck: wohl schon fast eine Art Heimat für Hecht-Fans. Zwar ist der Look der Band flexibler geworden, und doch, von den Bandmitglieder von Hecht könnte man Action-Figuren verkaufen. Chregu Schröter im weissen Shirt, Phil Morscher im farblich abgestimmten Overall, Chris Filter im Hawaii-Hemd und Daniel «Gisi» Gisler im etwas aus dem Konzept fallenden bunten Langarm-Hemd. YMCA? Nein. Hecht. Echt? Irgendwie schon.
Was Hecht ausstrahlen, wird geschätzt und gefeiert und gibt ganz vielen Menschen immer und immer wieder ganz viel. Wer Hecht aber wirklich sind – und da sind wir wieder bei Coldplay, DJ Bobo und Roger Federer – das erschliesst sich mir bis heute (noch?) nicht so richtig.