Penisse und Brüste. Davon wimmelte es nur so im Pop der 80er. Prince masturbierte mit dem Gitarrenhals seiner Fender Telecaster. Sogenannte Busenwunder wie Samantha Fox oder Sabrina bauten ihre Karrieren auf ihrem Vorbau auf und das wohl grösste und beste Musikvideo des Jahrzehnts (Peter Gabriels «Sledgehammer») kümmert sich genau um drei Themen: Sex, sexuelle Macht und mächtige Sexualität.
Bevor ich Gefahr laufe, die 80er als pubertierendes, schwanzgesteuertes Pop-Monster abzustempeln, möchte ich unterstreichen, dass es auch ein Jahrzehnt des Widerstands war. Eine Zeit des weitergeführten Kampfs gegen das Establishment. Eine Zeit der Gesellschaftskritik. Eine Dekade der Innovationen.
Es gab smarte Elektro-Acts, die auf die Vorarbeit von Kraftwerk aufbauten. Da war Punk, der in den 70ern geboren wurde und in den 80ern ins Rampenlicht trat. Worldmusic wurde zum Genre und Begriff, Hip-Hop entwickelte sich zum Massen-Phänomen und und und …
Blickt man zurück auf die 80er, ist das Bild klar: Es war ein Popmärchen voller Sex, schrecklicher Kleider, Sex, unbeschränkter Möglichkeiten, Sex, viel Geld, noch mehr Drogen, Sex, Rekorde, Sex, Stars, Groupies, Sex, Süssigkeiten aller Art und tonnenweise Illusionen, deren Verklärung wir gerne bewusst weiter vorantreiben oder zumindest konservieren.
Die Ejakulation des Schwanzrocks
Ja. Der Schwanzrock ejakulierte in den 80ern. Die männerdominierte Welt des harten Rocks, welcher in den 60ern und 70ern aufgebaut wurde, erreichte durch Glam- und Heavy-Metal-Bands in den 80ern einen Höhepunkt.
Das ist 30 Jahre her. Ich war 15. Meine Pickel dick und MTV für mich wohl fast so spannend, wie für Pupertierende heutzutage Youporn oder das Internet ganz generell.
Der Vollrausch des Pops
Wenn die 60er das Feierabend-Bier und die 70er der Wein zum Essen waren, servierten uns die 80er Drinks, Shots und alles andere, was zu unvergesslichen Momenten führen – mit Sicherheit aber auch schnell zu viel werden - kann. Diese Zeit hatte schlichtweg alles in der Hand, um Pop-Besessene so richtig fies abzufüllen.
Die Song-Rezepte der modernen Pop-Musik wurden in den 50ern, 60ern und 70ern entwickelt und verfeinert. Die 80er konnten damit arbeiten und die Gerichte üppig flambieren. Das Pop-Wissen der Industrie war so gross, die Kanäle der Vermarktung so kontrollierbar und die finanziellen Mittel so unerschöpflich, dass man, neben brillanten Künstlerinnen und Künstlern, auch Acts lancieren konnte, die ziemlich talentlos, aber dafür einfach zu steuern waren.
Die fette Ernte
Schon die Beatles wussten, dass ein guter Pop-Song am besten mit dem Refrain beginnt und dass man diesen idealerweise drei Minuten lang nicht erlöschen lässt. Die 80er setzten voll auf den Refrain, komplettierten die Pop-Happen mit suchtfördernden oder faszinierenden Elementen aus der Sex- und Schock-Kiste, reicherten sie an mit virtuosen und sportlichen Masturbations-Soli – vornehmlich im Gitarren- und Schlagzeug-Bereich – und hatten damit ziemlich viel, ziemlich gut im Griff.
Und dann kam der Grunge ...
Ende der 80er-Jahre bahnte sich etwas an, was Anfang der 90er explodierte. Der Grunge. Er rettete die komplett pervertierte Pop-Szene der Achtziger mit einem gezielten Schlag dahin, wo es die Macho-Kultur am meisten schmerzte.
Das war nicht vorgesehen. Der Loser und Junkie Kurt Cobain stoppte den an Reiz verlierenden Dauerorgasmus der Durchlauf-Pop-Maschinerie der 80er abrupt und wurde zum grössten Pop-Idol der 90er-Jahre.
Dank Kurt Cobain und Nirvana blieb ich ein Pop-Besessener. Dank Grunge kann ich heute auf die 80er als abgeschlossenes Kapitel zurückblicken. So sexistisch, absurd und pubertär dieses Kapitel der Pop-Geschichte gewesen sein mag: Es war ein prägendes, spannendes und ergiebiges Kapitel.
Wer akzeptiert, dass Pop-Musik dazu da ist, vergänglich zu sein, wird auch einen Weg zur Erkenntnis finden, dass Pop-Musik unsterblich ist. Und so bleiben uns die 80er – je nach Jahrgang, Zugang und Umgang – auf ganz unterschiedliche Art und Weise in Erinnerung. Aber sie bleiben. Und das ist gut so.
Und jetzt hör ich mir Prince’ Meisterwerk «Sign O’ The Times» (1987) an. Da ist alles drin. Kunst, Sex, Effekthascherei, Masturbations-Soli-Kultur, Penis-Pop, Busen-Mini-Rock und eine Songwriter-Qualität, die eigentlich gar nicht repräsentativ ist für die 80er – aber sehr wohl illustriert, dass man diese Dekade nicht in einen kurzen Text packen kann.