Es gibt Gründe, wieso der Rapper Olexesh mit der Schlagersängerin Vanessa Mai zusammenarbeitete. Es sind dieselben, die Capital Bra von einer Zusammenarbeit mit Helene Fischer träumen lassen: Es funktioniert. Kommerziell.
Was machst du für Musik? Erfolgreiche!
Natürlich ist das Ziel, erfolgreich zu sein nicht verwerflich. Vor allem nicht in der Popmusik. Es ist komplett legitim, eine Pop-Produktion so zu verpacken, mit Zutaten auszustatten und die Medien mit Geschichten zu füttern, damit ein Song so hoch wie möglich fliegt. Wird das eigentliche Erzeugnis (der Song) aber zum Nebenprodukt einer Strategie, oder gar zum blossen Diesel der Gelddruckmaschinen, habe ich ein Problem.
Wir sprechen also von Popmusik als reine Wirtschafts-Disziplin. Diese stand im Zentrum beim Stunt von Dieter Bohlen und Capital Bra, als sie den Modern Talking-Hit «Cheri Cheri Lady» aufwärmten. Und genauso bei der Kooperation von Deutsch-Rapper Olexesh und Schlagersängerin Vanessa Mai mit ihrem blutleeren Halbhit «Wir 2 immer 1».
Erfolg steht über der Glaubwürdigkeit
Was sich in der Weltpolitik im Zusammenspiel mit den sozialen Medien seit ein paar Jahren zu etablieren scheint, hält auch in der Welt der Popmusik zunehmend Einzug. Die Marktschreier brüllen ihre Produkte wichtig und die Herde tanzt im Takt der lauten Töne. Ökonomisch gute Werte werden als Qualitätsmerkmale angesehen. Dabei und dadurch geht vielen Konsumenten der eminent wichtige Entdeckergeist verloren.
Ernsthaft. Wo sind heute die Konsumentinnen und Konsumenten, die poptechnisch nicht verstanden werden wollen? Wo sind die Menschen, die ihre Lieblingsbands am liebsten für sich alleine hätten? Wo sind die musikalischen Pickel der Pubertierenden? Wieso schwimmen alle mit dem Strom? Die Aufgabe des Menschen – ganz besonders die, der jungen Generation – ist es, gegen den Strom zu schwimmen. Wieso sind Gotteszahl-Millionen Klicks grösser, wichtiger, überzeugender als die eigentliche Qualität eines Songs?
Ich kann es euch sagen: Weil wir zahlengläubig sind. Wir wollen in den Club mit der längsten Schlange vor der Tür. Zwar sagen wir, dass es nicht unbedingt auf die Länge ankommt – aber wir wollen da rein. Da fällt man wenigsten nicht auf. Was eigentlich eine komische Motivation ist in einer Zeit, in welcher jede und jeder auf, mit und durch seine Social-Media-Selfie-Lawine um jeden Preis auffallen will.
Der Punkt ist aber: Wir wollen auffallen, indem wir probieren so zu wirken, wie andere zu sein scheinen. Ein ziemlich verzweifelter Plan. Aber das ist an dieser Stelle vielleicht ein zu grosses Fass, um es wirklich anzuzapfen…
Was hat Spotify damit zu tun?
Vor Spotify flogen Songs häufiger auf, welchen es an Nachhaltigkeit mangelte. Durch Spotify aber zählt vor allem der erste Eindruck. Immer wieder der erste Eindruck. Bei jedem neuen Song von Neuem: Der erste Eindruck. Und daran, dass das mit dem ersten Eindruck hinhaut, wird mit Nachdruck gearbeitet.
Und was ist das Problem?
Kommerziell ausgerichtete Pop-Produktionen aktuellen Datums riechen immer mehr nach Kalkül. Immer weniger Acts schaffen den Spagat zwischen Kunst und Kommerz. Viele KünstlerInnen richten sich nach den Regeln von Spotify & Co. und beschneiden ihre künstlerische Freiheit gleich selbst. Sie lassen es aktiv zu, dass ihre künstlerische Entfaltung eingeschränkt wird. Schliesslich will man gefallen. Und wie gefällt man den Empfängern auf einer Streaming-Plattform? Mit unendlich direkter, schneller und einfacher Zugänglichkeit.
Es liegt in der Natur des Menschen, dass er für Bekanntes am empfänglichsten ist. Das ist eine wichtige Information für Hochzeits-DJ’s. Nicht aber für Pop-KünstlerInnen. Jeder Popsong, der bloss das Ziel hat, für möglichst viele Menschen ein problemloser Ohrenschmaus zu sein, trägt ein bisschen zum Tod der Vielfalt seiner eigenen Art bei.
Wir werden nie erfahren, wer diese Künstler wirklich sind
Wirklich tragisch an dieser Geschichte ist für mich, die grösser werdende Flexibilität gewisser Protagonisten. Wenn der Hip-Hop mit dem Schlager Allianzen eingeht, wird es schwierig. Immerhin sprechen wir von einem Bündnis zwischen dem Genre, das vom richtigen Leben erzählen will und dem Zirkus, der sein Publikum unbedingt von der Realität ablenken möchte.
Die Rap-Attitüde könnte der des Schlagers nicht ferner sein. Gemeinsam haben die beiden Genres höchstens, dass sie grosse Fangemeinden haben. Allerdings komplett unterschiedliche. Und von daher ist der teuflische Gedanke schon fast wieder verständlich, diese zwei Publika gleichzeitig mit einem Produkt zu erreichen.
Wahrscheinlich wäre es ein bisschen wie Mentos und Cola, wenn sich Capital Bra und Helene Fischer in einem Track vermengen würden. Man müsste irgendwie hinschauen. Es gäbe einen «Chlapf» und eine Sauerei. Und dann ein bisschen Leere.