Ein Album ist immer nur so gut, wie der Moment richtig, in welchem es einem erreicht. Davon bin ich überzeugt. Bei Züri Wests «Love» war es der Mittagsschlaf meiner bald zweijährigen Tochter. Während ich Mittagstisch und Boden von Essensresten befreie, flirte ich noch mit der Idee zu vergessen, dass auf meinem Rechner ein paar Files liegen, die Titel wie «Verchoufe ds Huus», «Ggange ohni z’gah» oder «Semiramis» tragen.
Die kann ich mir doch auch nachts anhören. Jetzt eine Albumlänge dösen klingt verlockend. Doch dann hebelt die Neugier meine vor Kurzem beschriebene Angst vor neuen Züri West-Songs irgendwie gekonnt aus.
LOVE
In Kauerstellung an den Radiator lehnend, mache ich es mir ungemütlich. PLAY. Obwohl ich den Opener «Schatteboxe» bereits kenne und mich schon mit ihm angefreundet habe, lasse ich ihn als Puffer zu den Fremdlingen laufen. Dann passiert Unerwartetes. «Love» braucht keine Anlaufzeit. Meine Mundwinkel zucken zwischen Verwunderung und Skepsis.
Guter alter Freund
«Love» fühlt sich an, wie ein Wiedersehen mit einem sehr guten, alten Freund. Die Art von Freunden, die man nach Monaten oder gar Jahren wieder treffen kann und bei denen es sich anfühlt, als hätte man erst gestern zusammen die Welt gerettet. Die Art von Freunden, bei denen man sich nicht erklären muss – aber darf. Die Freunde, die einem mit einem ungläubigen Blick unterbrechen, wenn man Blödsinn erzählt.
Die Umarmungen
Die Nick Lowe-Adaption «Verchoufe ds Huus» muss ich mir dreimal anhören, bevor ich mich dem Rest des Albums widme. Die brüchige, versöhnliche, in sich ruhende Stimme, mit welcher Lauener «Tschou Huus» singt, bringt mich um.
Von ebensolcher Schönheit auf einer thematisch anderen Baustelle ist der Katzensong «Semiramis». Lieblingszeile: «Ds Schlimmschte si die Gschänkli wo sie immer mitbringt. Haub toti Müüs u jungi Singvögeli u so Sache». Ich bin sofort in dieser Wohnung drin, in welcher sich diese Geschichte abspielt. Ich weiss sogar, wie das Sofa aussieht, obwohl es weder erwähnt, geschweige denn beschrieben wird.
Und dann ist da «Sunntig Mittag i de Sechzgerjahr» mit der Zeile «I ha wöue Italiäner wärde». Eine Geschichte, bei welcher einem schlicht und einfach nichts anderes übrig bleibt, als sie ganz fest zu umarmen.
Peace und so...
Auf «Love» schreit mich kein einziger Song an. Keiner buhlt um meine Aufmerksamkeit. Keiner macht sich wichtig. Sie sind da. Sie warten bis man sich für sie Zeit nimmt. Und dann leuchten sie im gebrochenen Mondschein. Jeder Ton, jede Fläche, jeder Schlag ist genau da, wo er hingehört.
Und auch wenn ich mir vorstelle, wie jedes klingende Element in aufwendiger Arbeit dahingebracht und platziert wurde, wirkt es, als wären sie alle völlig natürlich oder gar beiläufig an ihre vorgesehenen Plätze vom Himmel gefallen.
Wo bleibt das Haar in der Suppe? Ich müsste es mir ausreissen und in den Teller werfen. Doch dazu hab ich nun wirklich keine Lust. Sorry.
Danke für «Love». Peace!