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Neues Album «Addio» Faber stürzt sich in den Abgrund und singt sich auf den Olymp

Auf seinem neuen Album «Addio» biegt sich Faber so tief in den Abgrund wie nie zuvor. Dabei flirtet er mit sizilianischem Liedgut, sakraler Kirchenmusik – und Britney Spears. Wie festivaltauglich ist sein viertes Album?

«Addio» ist ein Requiem. Eine pastorale Totenmesse. Eine Abrechnung mit der Welt, den Heuchlern, der obsessiven Liebe und sich selbst: eine wunderschöne Tragödie. Kein Wunder kleben die Massen immer noch an Fabers Lippen und skandieren seine messerscharfen Zeilen von Bern bis nach Berlin.

Mit «Addio» legt er nach und überrascht aufs Neue. Auf seinem vierten Release seit seinem Erstling «Alles Gute» (2015) ist Faber so grosskotzig und gut wie nie zuvor.

Tod und Auferstehung

Das Cover von «Addio» setzt das Grundrauschen der Platte: Ein Ölgemälde im Barockstil von Justus von Karger, auf dem Faber mit seinen Ebenbildern und Dämonen kämpft.

Wie immer, beginnt auch dieses Faber-Album mit einer Ouvertüre. Sie spickt uns in die Soundwelt eines italienischen Neorealisten-Films. Und schon wird die erste ungeschminkte Wahrheit aufgetischt: «Ich bin ganz allein. Ganz allein mit dem Gefühl allein zu sein. [...] Mach dir keine Sorgen, hab’ ein’n Strick für alle Fälle; Das Leben ist ’ne Phase und der Rest ist die Hölle».

So suizidal diese Eröffnung anmutet, Faber braucht sie nur, um später wieder aufzustehen.

Faber und Britney

Weg von der barocken Malerei, raus aus Italien, auf nach Amerika. Plötzlich schimmert Britney Spears und ihr Toxic durch einen Faber-Song. «Sie ist wieder in der Stadt» klingt nach seiner Antwort auf den orientalisch angehauchten Dance-Pop-Übersong aus 2003. Bei Faber konstruieren jedoch analoge Instrumente den R&B-Beat, während er über toxische Liebe singt.

Abgesang und Weltschmerz

Sie ist schon jetzt zu hören, die Festival-Crowd, die Wort für Wort mitsingt, um zusammen mit Faber auf den ganzen «Scheiss zu scheissen», der um und in uns abgeht. Trotz aller depressiven Schwermut, die durch diese Verse drückt: Alles auf «Addio» besitzt Mitgröl-Qualität. Aber nicht wie im Bierzelt: Diese Lieder beschwören kollektiven Existenzialismus.

Immer wieder schimmert dabei Fabers respektive Julian Pollinas Herkunft durch die Melodien: die musikalische Tradition der sizilianischen canzonieri. Weltschmerz fürs Volk, der süchtig macht.

Kirche und Glauben

Das Juwel in Sachen Mitsingpotenzial heisst «Leon» und beginnt mit einer Kirchenorgel. Das barocke Cover lässt grüssen. Im Refrain singt Faber mit einem hysterischen Frauenchor «Du musst einfach an dich glauben» – und prangert den Erfolgswahn an.

Der Titelsong «Addio» treibt das Sakrale auf die Spitze: ein Kirchenchor-Stück. Weiter weg vom Pop war Faber noch nie. Der Chor singt «Wenn ich hör’, wie ihr klagt; Reim’n sich all meine Namen [...] Auf ‹Ich habe versagt›» und setzt dem epochalen Requiem ein vorläufiges Ende.

Addio und Arrivederci

Doch nach dem Ende geht’s weiter: Die letzten drei Songs sind eine Art zweiter Akt auf Italienisch. Faber besingt rebellische Seelen («Anima ribelle») oder verlorene Herzen («Pirdutu cori»), zusammen mit Vater Pippo Pollina .

Spätestens in diesem Song wird die sizilianische Liedertradition unüberhörbar zitiert. In Fabers «Pirdutu Cori» steckt so viel Rosa Balistreri wie Pasta in der italienischen Küche.

Fabers Album «Addio» ist ein dunkles Meisterwerk, das Fragen aufwirft und Kreise schliesst. Diese Songs atmen Leben, Leid und Liebe. Sie sind gleichermassen Abgesang wie Auferstehung. Je tiefer sich Faber in den düsteren Abgrund begibt, desto heller strahlt seine Musik.

Radio SRF 3, Sounds!, 6.6.2024, 21:30 Uhr

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