Die Betten in den Schlafkliniken sind ausgebucht, die Nachfrage nach Schlaftabletten ist riesig. Was wir als Kind gelernt haben, haben wir in der Leistungsgesellschaft verlernt: Ein Drittel der Bevölkerung klagt über Schlafstörungen. Was ist los? Schlafmediziner Jens G. Acker hat Antworten.
Was ist gesunder Schlaf?
Jens Acker: Wenn es Ihnen in der Früh gut geht. Also, wenn ich sagen kann, der Tag läuft ohne Probleme, ich fühle mich fit, ich habe keine Müdigkeitskrisen und die Leistung ist da. Dann macht man sich darüber eigentlich keine Gedanken.
Das heisst, Schlaf ist sehr individuell, die einen brauchen fünf Stunden, andere acht und das ist in Ordnung?
Die meisten Menschen schlafen zu kurz. Wir gönnen uns zu wenig Erholung unter der Woche und schlafen dann am Wochenende aus. Wir machen unter der Woche Schlafmangel, damit wir am Wochenende ausschlafen können. Das finden wir in unserer Gesellschaft völlig normal.
Sie finden das nicht normal?
Ich mache das auch, wie alle anderen. Wir sind dem unterworfen, wir können das nicht ändern. Aber in den Ferien merken wir dann, wie es uns geht, wenn wir Zeit haben, unserem Schlafbedarf nachzukommen. Das spielt heute eine grosse Rolle, wenn wir daran denken, wie viele Leute krank werden, weil sie zu wenig schlafen oder stressbezogene Störungen bekommen.
Wie viel Schlaf braucht ein Mensch?
Was wir wissen ist, dass es wenig Menschen gibt, die weniger als sechs Stunden Schlaf brauchen – unter fünf Stunden eigentlich gar nicht – und wir haben sehr wenig Menschen, die über acht oder neun Stunden Schlaf benötigen. Aber es ist sehr individuell und abhängig davon, welche Leistung wir im Alltag erbringen.
Wie findet man heraus, wie viel Schlaf man braucht?
Sie machen ein Sabbatical, verzichten aufs Hotelbuffet und stellen keinen Wecker. Dann pendelt sich ihr Schlaf nach ein, zwei Wochen ein. Sie sehen, was ihre Schlaflänge ist, wenn die Hauptschlafphase endet und sie nicht mehr richtig in den Schlaf reinkommen, wenn sie nur noch dösen. Das ist der Schlafbedarf zum jeweiligen Alter. Der ist in der Regel eine halbe Stunde oder eine Stunde mehr, als die meisten Menschen glauben.
Vermutlich nicht ganz einfach umzusetzen...
Für viele ist es schwierig. Wir reden auch über Leute, die sozial schwächer sind, die nicht die optimalen Wohnmöglichkeiten haben (und etwa Lärm ausgesetzt sind, Anm. d. Red.), die vielleicht mehrere Arbeitsstellen haben, die viele familiäre Aufgaben haben – damit meine ich vor allem Frauen, die zum Beispiel Schichtarbeit machen. Da wissen wir, dass sie heute viel belasteter sind als ihre Männer, weil sie etwa noch den Haushalt machen.
Lernen wir als Kinder zu schlafen – ist Schlaf etwas, das wir lernen?
Schlaf ist ein erlerntes Verhalten, davon gehen wir aus. Wenn sie sehr müde sind, fallen sie irgendwann um. Der Körper holt sich den wichtigen Erholungsschlaf schon. Aber das, was wir als Schlafverhalten verstehen, ist eine kulturelle Verhaltensweise, die wir gelernt haben. Gehen Sie nach Afrika oder Indien, da kann es völlig anders aussehen, was als normal angesehen wird.
Kann man Schlaf verlernen?
Ja, das kann man. Wir gehen aber davon aus, dass wir den Schlaf wieder erlernen können. Es braucht auch nicht viel, um ihn wieder zu aktivieren. Die meisten von uns haben das schon einmal gemacht. Eigentlich weiss jeder, wie es geht - nur weiss man nicht, wie man es hinkriegt, wenn man es haben will. In der Schlafmedizin helfen wir bei der Umsetzung.
Welche Hausaufgaben muss man machen?
Es gibt Leute, die denken: Ich bin ein Automat. Sie arbeiten, stellen den Computer aus und wollen fünf Minuten später schlafen. Das Alltagsverhalten ist vielen Erwachsenen nicht bewusst.
Bei Kindern wissen sie, was sie machen müssen: Wie man kleine Kinder zum Schlafen kriegt, ist den meisten recht einleuchtend. Ähnliche Strategien helfen auch beim Erwachsenen, Rituale zum Beispiel.
Was kann man ändern, damit es mit dem Schlaf wieder klappt?
Es geht darum, diese Rituale zu üben, zu trainieren. Wenn sie überlegen, was wir in unserer Gesellschaft für Entspannungsverfahren lernen, dann haben wir so eine Art Modeströmung: Man schaut nach Asien, findet Mediation toll. Aber wir lernen das nicht in der Schule und kulturell gehört das nicht zu uns. Von der Siestakultur können Schweizer und Deutsche sich was abschneiden: Mittags eine Pause machen, die Seele baumeln lassen, vielleicht ein kurzes Schläfchen machen. Das sind Dinge, die helfen können.
Ein Drittel der Bevölkerung klagt über Schlafstörungen. Wie viele davon kriegen ihren Schlaf wieder in den Griff?
Die meisten bekommen es wieder in den Griff. Es gibt bei den verschiedenen Störungen unterschiedliche Erfolgsquoten. Bei den Stressbezogenen Störungen hat man sehr viel in der Hand. Man findet in der Regel eine Verbesserung. Schlafstörungen sind in der Regel gut behandelbar.