Warum habe ich eigentlich bisher nie Filme oder Serien über die Hintergründe der Terroranschläge vom 11. September 2001 geschaut? Erstens: Zu ernsthaftes Thema. Mit Serien will ich mich von der Realität ablenken. Fantasy statt Politik. Historienserien statt Aktualität. Zweitens: Ich war des Themas Terror ein bisschen überdrüssig nach der jahrelangen Berichterstattung in den Newsmedien.
9/11-Pause dank Trump
Da kommt «The Looming Tower» (deutsch: «Der drohend auftauchende Turm») zum richtigen Zeitpunkt. Donald Trump verschaffte uns mit seiner Wahl eine kleine 9/11-Berichterstattungspause. Aber auch unter Obama war das Thema etwas in den Hintergrund gerückt – da ist man nun wieder etwas empfänglicher. Hinzu kam: Mindestens drei Kollegen sprachen mich auf «The Looming Tower» an: «Häsch scho gseh? Die muesch luegä!» Scheint ein Talkabout zu sein.
In die Serie zog mich vor allem die gute Hauptfigur. John O’Neill, der herrlich widerliche Chef der New Yorker Antiterror-Einheit des FBI. Er ist Jahre vor den ersten Anschlägen davon überzeugt, dass die Terrororganisation Al-Qaida die USA längst im Visier hat. O’Neill versucht die amerikanische Regierung (damals geführt von Präsident Bill Clinton mitten im Monica Lewinsky-Skandal) von der Gefahr durch Al-Qaida zu überzeugen und sie dazu zu bringen, die nötigen Massnahmen zu ergreifen.
Als Zuschauer schwankte ich bei bei O’Neill zwischen Bewunderung und Ekel. Einerseits schätzt er als einziges Mitglied der amerikanischen Verwaltung die Terrorgefahr richtig ein. Und er setzt seine ganze hemdsärmelige Leidenschaft dafür ein, sich gegen seine uneinsichtigen Kollegen durchzusetzen. Andererseits strotzt er vor Selbstgefälligkeit und nimmt keine Rücksicht zur Durchsetzung seiner Interessen. Und der hohe Frauenverschleiss macht O’Neill auch nicht eben sympathischer.
Kein Ami-Patriotismus
Schön an der Serie auch: Sie widmet sich gänzlich amerikanischer Selbstkritik. Die Gründe für die Anschläge werden hier nicht beim «bösen» Islam gesucht sondern in Amerika. Machtspiele zwischen FBI und CIA. Leaderfiguren, die lieber ihre Eier raushängen lassen, als sich wirklich dem Kampf gegen Terror zu widmen. Komplizierte und patriarchalisch ausgerichtete Machtstrukturen in der US-Verwaltung.
Leaderfiguren, die lieber ihre Eier raushängen lassen, als sich wirklich dem Kampf gegen Terror zu widmen.
Das sind die Themen, die «The Looming Tower» beleuchtet. Das finde ich sehr erfrischend für eine Serie, die für den Streamingdienst Hulu produziert wurde, der ausschliesslich auf den amerikanischen Markt ausgerichtet ist. Scheinbar findet sich in den USA derzeit ein genug grosses Publikum, das an unpatriotisch aufgearbeiteten Inhalten zu 9/11 interessiert ist.
Fazit
Meine erste 9/11-Serie war also ein durchschlagender Erfolg. Und nun darf ich mich für einige Monate wieder ganz ohne schlechtes Gewissen sinnlosen Fantasyserien widmen.
«The Looming Tower» ist in der Schweiz bei Amazons Online-Videothek «Prime Video» verfügbar. Das gleichnamige Sachbuch diente der Serie als Grundlage. Autor Lawrence Right wurde dafür 2007 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet.