Back to the roots - so sollte es beim Tätowieren sein
«Zurück zu den Anfängen der kleinkommerziellen Studios, das fände ich toll. Als noch aus Freude tätowiert wurde - nicht wegen des Geldes. Die Tätowierer von heute nehmen sich keine Zeit mehr für ihre Kunden. Sie sind abgehoben, fühlen sich wie DJs oder Superstars, dabei sind sie das gar nicht. Klar, es ist ein Handwerk und ihr Können ist beeindruckend, aber sie nehmen sich einfach zu wichtig.»
Früher haben die Tätowierer miteinander gearbeitet. Heute ist es mehr ein Gegeneinander.
«Früher kannten sich die Tätowierer untereinander, es war überschaubar. Sie haben sich gegenseitig ausgeholfen, zum Beispiel wenn jemandem die Nadeln ausgegangen sind - und die waren dazumals nur in England erhältlich -, fuhr ein Berufskollege durch die Stadt und hat ihm eine von seinem Studio gebracht.»
Auf eine supergerade Linie sollte gepfiffen werden
Nicht nur die Tätowierer haben sich gemäss Rock verändert, auch die Tätowierten selber. «18-Jährige, welche schon von oben bis unten tätowiert sind? Das finde ich bireweich. Sie wollen einfach möglichst schnell möglichst viele Tätowierungen. Sie denken: ‹Ach, ich kann mir die Tattoos ja wieder wegmachen lassen, wenn ich sie nicht mehr will›. Sie haben den Kern einfach nicht begriffen.»
Viele lassen sich eine japanische Kirschblüte stechen, obwohl sie keinen Bezug zu Japan haben. Das finde ich persönlich schade. Ein Tattoo ist kein Fashion-Accessoire.
«Früher war man auch stolz auf eine schräge Linie, weil die Geschichte hinter dem Bild zählte. Heute geht es um den Style, die anderen sollen es schön finden und bewundern. Dieser verdammte Perfektionismus geht mir auf den Sack.»
Seine Haut ist wie ein Gästebuch
Hinter den Tätowierungen von Rock Gitano steckt eine Ideologie: «Jede einzelne Tätowierung hat ihre Geschichte und etwas ganz Persönliches. Jedes Bild ist eine Erinnerung an ein Erlebnis, eine Erfahrung oder an einen Menschen.» Na dann, lass uns zusammen dein Gästebuch öffnen, lieber Rock!
Die erste Tätowierung
«Wie alt ich da war, weiss ich gar nicht mehr. Jedenfalls hat es dazumals die Band Black Flag gegeben. Ihre Musik ist zwischen Punk und Harcore anzusiedeln und hat eine neue Bewegung ausgelöst. Mich hat diese Zeit sehr geprägt. Das Logo von Black Flag sind vier Balken, welche nicht gerade nebeneinander stehen, sondern aus dem System brechen. Da erkenne ich mich wieder: Auch ich konnte mich nicht immer der Gesellschaft anpassen. Die Tätowierung ist im Nacken. Ich kann sie also nicht sehen, aber ich habe sie im Herzen.»
Die neueste Tätowierung
«Ich bin Velokurier. Auch dahinter steckt eine Ideologie. Ich verbinde mich sehr stark damit. Darum ist es klar, dass ich mein Lastervelo - mein Arbeitsgefährt - tätowiert habe. Wo es gestochen ist? Direkt unter dem Herzen.»
Die Hände werden nie tätowiert. Sagte er mal.
«Auf den Fingern meiner rechten Hand ist ein Velo, ein Blitz und ein Kuvert. Das machte mir eine Freundin, welche selber mit einem Nädeli bei sich zu Hause biz rumsticht. Das hat mir gefallen, und ich sagte zu ihr: ‹Hey, das will ich auch. Du musst mich tätowieren. Der Grund für das Velo und das Kuvert weisst du, so gut kennen wir uns jetzt.› Warum der Blitz? ‹Na, weil ich beim Flash Kurier arbeite.›
Der rundliche, abstrakte Hundekopf weiter oben ist von Seline, sie ist eine Strassenkünstlerin. Eine total begnadete Superkünstlerin, welche ich liebe. Und ich fand, statt nur auf Plakate zu malen, wäre es doch cool, wenn sie mich tätowieren würde. Sie passte das Bild genau auf die freie Stelle an.
Der Vogel. Der Profi würde jetzt sagen, hey das ist eine Schwalbe. Also, es ist eine Schwalbe, natürlich. Sie steht für das Flatterhafte. Man kann mich nie richtig greifen. Ich habe immer wieder einen neuen Spleen. Das wird auch nie aufhören. Die Schwalbe ist nicht gefangen, sonst hätte ich einen Käfig drum gemacht. Sie ist frei.
Das Kettenherz steht - natürlich - für die Liebe zum Velofahren.
Die Dynamitstange auf dem kleinen Finger. Die machte ich, weil ich noch im Theater als Requisiteur und Pyrotechniker arbeite. Der Anker steht dafür, dass man sich treu und zu sich selber ehrlich sein soll.
Das Herz ist von einer Tätowiererin, welche ich seit über 30 Jahren kenne. An diesem Tag ging es ihr nicht so gut. Sie hatte auch eine kleine Krise wegen all den neuen Tätowierern, die plötzlich aus dem Boden schossen und wir schwelgten in den Erinnerungen, wie es mal war. Und dann sagte ich zu ihr: ‹Weisst du was, jetzt stichst du mir ohne Vorzeichnen ein Tattoo. So, wie es früher gemacht wurde.› Das tat sie und war danach happy. Ich konnte sie damit glücklich machen.»
Da sind wir wieder bei der Grundidee vom Tätowieren - die Freude.