In deinem Song Tomboctou heisst es: «In Zeiten des Krieges sind Mädchen und Frauen sehr verletzlich. Im Moment werden sie im Norden Malis zu einfachen Opfern». Wenn ich an die Genitalverstümmelung denke, sind sie in Mali auch ohne Krieg Opfer. Schätzungen gehen davon aus, dass 90% der Mädchen und Frauen in Mali beschnitten worden sind...
Inna Modja: Und genau dagegen kämpfe ich. Weibliche Genitalverstümmleung ist in Mali und anderen afrikanischen Ländern sehr präsent. Vor einigen Tagen sprach ich vor den Vereinten Nationen anlässlich des «International Day of Zero Tolerance for Female Genital Mutilation». Die UNO will bis 2030 die weibliche Genitalverstümmelung beenden. Bis dahin ist noch viel zu tun und ich packe mit an...
Du bist selber mit vier Jahren beschnitten worden, obwohl deine Eltern dagegen waren. Wie ist es dazu gekommen?
Inna: Damals lebte ich in Ghana. Mit meiner Mutter und meinem jüngeren Bruder machte ich einen Besuch bei meiner Familie in Mali. Meine Mutter hatte etwas zu erledigen und verliess das Haus. Dann hat mich meine Grosstante beschnitten. Meine Mutter konnte mich nicht beschützen. Das war schrecklich für sie und für meine Eltern.
Sie dachte, sie tue was Gutes für mich.
Wer Mädchen sowas antut, weiss nicht, wie gefährlich das ist. Meine Grosstante ging nie zur Schule. Das einzige was sie kannte, war Tradition. Sie dachte, sie tue was Gutes für mich.
Wie hast du es verarbeitet?
Inna: Ich denke, du kannst sowas nie ganz verarbeiten. Ich war keine fünf Jahre alt, als es passiert ist. Der Schmerz und die Erinnerungen gehen nie vorbei. Im Teenie-Alter, als ich zur Frau wurde, fühlte ich mich meiner Identität beraubt.
Ich dachte, ich würde nie ganz Frau sein, weil mir etwas fehlt. Auch der körperliche Schmerz ist schwer auszuhalten.
Ich habe mich dann plastischer Chirurgie unterzogen und das Zerstörte wieder herstellen lassen. Das gab mir Stärke. Ich konnte mein Schicksal rückgängig machen. Aber es ist wie mit zerbrochenem Glas. Du kannst es kleben, aber Risse bleiben.
Die Vereinten Nationen wollen erreichen, dass die weibliche Genitalverstümmelung bis 2030 passé ist. Was muss geschehen, damit dieses Ziel erreicht werden kann?
Inna: Regierungen, Institutionen und Gemeinschaften müssen Aufklärung und Prävention leisten, die Leute bilden. Der Dialog ist das wichtigste Mittel.
Die Leute müssen verstehen, wie gefährlich dieses Ritual ist. Es kann schlimme Folgen haben, wie etwa Unfruchtbarkeit.
Diese Tradition muss beendet werden und wir sollten andere Rituale finden für das Frau werden. Rituale, die Frauen nicht verletzen und zerstören.
Was hältst du von einem Verbot?
Inna: Gesetze sind wichtig, aber sie lösen das Problem nicht. Strafe allein schafft kein Verständnis. Die Leute werden es trotzdem tun. Aufklärung ist wichtig, damit man versteht, wie gefährlich und schädlich die weibliche Genitalverstümmelung ist.
Wir müssen von Dorf zu Dorf, von Familie zu Familie. Ich glaube an den Menschen. Wenn die Leute verstehen, was es anrichtet, werden sie aufhören.
Hast du je mit deiner Grosstante, die dich beschnitten hat, darüber geredet?
Inna: Nein. Sie ist tot. Ich habe ihr nie die Schuld gegeben. Es ist passiert. Das hat meine Eltern, meine Familie so verletzt. Ich weiss, dass meine Grosstante aus Unwissen gehandelt hat. Sie wollte mich nicht verletzen. Und hat es dennoch getan.
Ich setze mich gegen weibliche Genitalversümmleung ein, seit ich 18 bin. Ich wollte kein Opfer mehr sein und fand in mir die Kraft, etwas zu tun.
Ich will als Frau nicht einfach den Zweck erfüllen, Kinder zu gebären. Ich will ganz Frau sein. Ich habe Träume. Ich will Dinge erreichen. Musik hat mir dabei geholfen. Durch die Musik bin ich geheilt worden. Sie gab mir den Mut, weiterzumachen.
Als ich mit der Musik begonnen habe, war ich einfach ein Mädchen aus Bamako. Ich habe mit 15 angefangen. Nie hätte ich gedacht, dass ich eines Tages vor den Vereinten Nationen stehe. Dass ich an der Seite von Ban Ki Moon stehe, meine Musik spiele und mich gegen weibliche Genitalverstümmelung stark mache.
Wie reagieren die Leute auf deinen Einsatz?
Inna: Grundsätzlich positiv. Nach meinem Auftritt vor den Vereinten Nationen habe ich aber auch viele schreckliche Kommentare erhalten. Das zeigt mir, dass ich noch härter kämpfen muss. Weil ich nicht will, dass andere Mädchen das durchmachen müssen, was ich durchgemacht habe.