BoJack Horseman, Titelfigur der bislang besten Netflix-Eigenproduktion, ist ein ehemaliger Sitcom-Star. In den 90er-Jahren war er Publikumsliebling der erfolgreichen, künstlerisch aber ziemlich abgedroschenen Serie «Horsin' Around».
Finanziell hat BoJack für den Rest seines Lebens also ausgesorgt, in seinem Inneren klafft jedoch die grosse Leere.
BoJack hat keine wirklichen Freunde und keine Ziele in seinem Leben. Immer wieder legt er sich selbst Steine in den Weg und ist ständig damit beschäftigt, seine Mitmenschen zu vergraulen - ab und zu bewusst, meistens jedoch unabsichtlich.
Die traurigste Comedyserie aller Zeiten?
In der zweiten Staffel startet BoJack sein Comeback als Schauspieler und erfüllt sich mit der Hauptrolle in seinem Traumprojekt «Secretariat» einen Lebenstraum. In der dritten Staffel darf er sich realistische Chancen auf eine Oscarnominierung machen. Lange halten solche Glücksmomente aber nicht an. Bald wird BoJack wieder versuchen, seine innere Leere mit Alkohol, Sex oder Drogen zu füllen. Für den Zuschauer wird ersichtlich: BoJack Horseman leidet an einer Depression.
Ja, «BoJack Horseman» ist eine Comedyserie mit unheimlich viel Wortwitz, scharfen Dialogen und genialen Hintergrund-Gags, im Endeffekt hat die Serie aber ebenso viele Gemeinsamkeiten mit Dramaserien wie «Mad Men» oder «The Sopranos». Die englische Zeitung «The Guardian» stellte vor wenigen Tagen daher die völlig korrekte Frage «Ist BoJack Horseman die traurigste Comedyserie aller Zeiten?».
Die dritte Staffel: Ein neuer Höhepunkt
Mit der soeben veröffentlichten dritten Staffel erreicht die Serie einen neuen Höhepunkt.
Die Macher getrauen sich mehr Experimente bezüglich Form und Struktur der einzelnen Episoden und begeben sich gegen Ende der Staffel in noch tiefere seelische Abgründe als zuvor.
Dabei ist besonders die vierte Episode ein Meisterwerk: BoJack besucht ein Unterwasser-Filmfestival und erlebt einen fast wortlosen, «Lost in Translation»-artigen Trip in einer für ihn vollkommen fremden Welt. Schon jetzt eine der besten TV-Episoden der letzten fünf Jahre.
Eine Zeichentrickserie nur für Erwachsene
So gut «BoJack Horseman» auch ist, die Serie schmackhaft zu machen, ist gar nicht mal so einfach. Am liebsten würde ich ja wildfremde Menschen auf der Strasse am Kragen packen und ihnen «Schau dir diese Serie an!» ins Gesicht schreien... aber eben: Alleine schon der Fakt, dass «BoJack Horseman» eine Zeichentrickserie ist, stellt für viele potentielle Konsumenten wohl eine (zu) grosse Hürde dar.
Gerade im deutschen Sprachraum gilt trotz bahnbrechenden Werken wie «The Simpsons», «Ghost in the Shell» oder «Akira» noch immer das falsche Vorurteil: Zeichentrickserie = also muss es für Kinder sein.
Auch «BoJack Horseman» wird mit diesem Klischee nicht aufräumen können. Es sei aber trotzdem erwähnt, dass BoJack nicht «auch», sondern «nur» für erwachsene Zuschauer produziert wird.
Und wer erst einmal «drin» ist in der Serie, realisiert nach einer kurzen Zeit gar nicht mehr, dass man hier gerade einer Halb-Mann-Halb-Pferd-Figur zuschaut, die sich mit einer anthropomorphen Katze unterhält. Einen grossen Verdienst daran haben die durchs Band hervorragenden Synchronsprecher wie Will Arnett oder Aaron Paul (Jesse aus «Breaking Bad»), die ihren leicht seltsam anmutenden Charakteren eine beeindruckende Menschlichkeit verleihen.
«BoJack Horseman» dürfte am Ende des Jahres in sämtlichen Bestenlisten der besten TV-Serien 2016 weit oben auftauchen. Wer über den eigenen Zeichentrick-Schatten springen kann wird mit einer schier unendlich reichen TV-Serie belohnt. Aber Vorsicht: Shit gets daaaaark! 9.5 von 10 Punkten.
Alle drei Staffeln (insgesamt 36 Episoden) von «BoJack Horseman» sind auf Netflix streambar.