Steht ein neues Album von Kendrick Lamar an, dann müssen wir auf die Weinmetapher zurückgreifen. Zuerst einmal öffnen und atmen lassen, auf keinen Fall voreilige Schlüsse ziehen.
«good kid, m.A.A.d city» und «To Pimp a Butterfly», die beiden letzten Alben des kalifornischen Rappers, gehören zu den wichtigsten Musik-Meilensteinen der letzten 10 Jahre.
In welchem Verhältnis «DAMN.», das letzten Freitag erschienene, vierte Album des Rap-Superstars, zu seinen Vorgängern steht und wie fruchtig und erdig der Abgang tatsächlich sein wird, können und wollen wir zurzeit noch nicht sagen.
Was wir allerdings schon jetzt wissen: King Kendrick darf seine Krone und den Platz auf dem Rap-Thron auf jeden Fall behalten.
Fünf Gründe, die für eine Verlängerung von Kendrick Lamars Regentschaft sprechen:
1. Kendrick Lamar ist wieder mehr Rapper als Jazzmusiker
Ganze 80 Minuten lang war Kendricks letztes Album «To Pimp a Butterfly». Dazu kamen zahlreiche Kollaborationen mit Jazz-Musikern, was uns zwar einerseits gefällt und unserem musikalischen Gewissen mindestens zwei Dokumentationen über «Blue Note» erspart, andererseits aber auch... naja... anstrengend sein kann.
Auf «DAMN.» ist alles anders. 14 Tracks, insgesamt knapp 55 Minuten Spielzeit – und Kendrick unterhält uns nicht nur im Kopf, sondern auch auf der testikularen Bewusstseinsebene.
Wer eine gesunde Portion «Kendrick ist nice, macht aber zu viel ‹Kunst›» in der Brust trägt, wird bereits nach exakt einer Minute und 58 Sekunden mit einer osmanischen Backpfeife von einem Song («DNA.») weggeklatscht.
2. Kendrick Lamar kann jetzt auch Hitparaden-Hits
Die szeneninterne Liste mit Kendrick-Lamar-Tracks, die als «Hits» durchgehen, umfasst bereits einige Einträge. Stichwort «Bitch Don't Kill My Vibe», Stichwort «Alright»
Mit der Vorabsingle «HUMBLE.» (Video oben) hat Kendrick nun endlich auch die Allgemeinheit im Sack. In den Staaten ist «HUMBLE.» auf Platz 2 eingestiegen (der höchste Einstieg eines Rapsongs seit sieben Jahren), bei uns immerhin auf Platz 17. Seine mit Abstand höchste Platzierung in den Schweizer Charts.
Eine Hitmaschine wie Drake wird Kendrick Lamar nie werden – muss er auch nicht –, trotzdem zeigt er sich auf «DAMN.» so zugänglich wie schon lange nicht mehr.
3. Auf «DAMN.» stimmt das Verhältnis zwischen Inhalt und Gefühl
Manch ein Rapliebhaber ordnet heutzutage die «Bars» – sprich: der lyrische Gehalt eines Songs – dem «Vibe» unter.
Das Gefühl, welches die Musik auslöst, ist 2017 wichtiger geworden, als ihr Inhalt. So heisst auch beim Reizthema «Kendrick Lamar» das Vorurteil: kopfloses Abschalten und «viben» ist nicht möglich. Falsch!
Bei «DAMN.» wird jedes müde Morgen-Espressotässchen zu einem Codein-gefüllten Plastikbecher. Besonders der von Rihanna unterstützte Track «Loyalty» ist ein Song, der in der Hip-Hop-Bibel zukünftig unter dem Eintrag «Vibe» zu finden sein dürfte.
4. Die Lyrics sind wie immer auf Topniveau – glauben wir zumindest
King Kendrick erzählt dir immer etwas – ob du willst oder nicht. Hast du Lust, dich mit den religiös und spirituell thematisierten Texten auseinanderzusetzen? Genius.com hat deinen Rücken und kennt bereits jetzt jede Anspielung und jede Referenz, die auf den 14 Tracks zu hören sind.
5. Kendrick Lamars Stimme und Flow bleiben einzigartig
Kendrick Lamar ist ein Rap-Chamäleon. Er präsentiert dabei nicht nur originelle Flowinnovationen, sondern macht ständig Sachen, die niemand anderes kann. Sein Stimmeinsatz ist immer pointiert, jeder Beat bekommt seine eigene, eigens darauf abgestimmte Stimme.
Die Palette des 29-Jährigen ist immens: er kann die aufgekratzte, wütende Brandreden-Stimme, genauso gut wie das nasal-giftige.
Dein Lieblingstrack auf «DAMN.»? Ab in die Kommentare damit!