SRF DOK:
Herr Meier, Sie waren 1971 ein junger Historiker. Viele Ihrer damaligen Studienkollegen beschäftigten sich mit den linken 68er Ideen. Wie kamen Sie dazu, sich einem national-konservativen Politiker anzuschliessen?
Pirmin Meier: «Anschliessen» ist zu viel gesagt. Aber ich kannte Schwarzenbach seit 1964 über seine Zeitung «Der Republikaner» und bald persönlich. Das Klischee «nationalkonservativ» passte damals (noch) nicht zu ihm. Zusammen mit dem genialen Kuno Räber hatte er im Geist von Paneuropa-Gründer Coudenhove-Kalergi sogar über ein christliches Europa, Bollwerk gegen den Kommunismus, publiziert.
Was hat Sie an seinen Ideen begeistert?
Schwarzenbach war für mich ein alternativer Literat. Er machte mich auf François Mauriac, Chesterton, Evelin Waugh aufmerksam, auf den christlichen Existenzphilosophen Peter Wust. Er hatte Edmund Burke übersetzt, noch 1962 die Neutralität als «Illusion» in Frage gestellt. 1966 lud ich ihn und den kritischen Historiker Marcel Beck zu Vorträgen ins Kollegi Sarnen ein. Das Feindbild waren in meiner Wahrnehmung nicht die Ausländer, sondern Zürichs Bürgertum. «Die Stunde des Bürgertums» war ein Buchtitel von Schwarzenbach.
Schwarzenbach hat vor allem gegen das Fremde, gegen die Überfremdung gekämpft. Inwiefern sahen auch Sie damals die Schweiz vom Fremden bedroht?
Bei meiner familiären CVP-Herkunft (Bruder Grossrat, Cousin Generalsekretär) brachte mich Schwarzenbachs «Volk- und Heimat-Bewegung» in Verlegenheit. Deren Gründer F. Meier (Ellikon/Thur) brachte mal einen Strick zum Aufhängen der «Verräter» an eine Versammlung. Aber die Ortsplanung im nahen Wettingen mit einem «Endausbau» auf 80'000 Einwohner schockierte und veranlasste nicht nur mich 1970 zu einem Ja zur «Schwarzenbach»-Initiative.
Die Italiener erfuhren damals eine grosse Ablehnung und sogar Verachtung. Wie erklären Sie sich dies?
Da wird eher übertrieben. Die Pizzerien kamen auf. Die Unentbehrlichkeit der Italiener war mit ein Grund zur Niederlage der Initiative. Vincenzo und Battista, zwei Metzgergehilfen meines Vaters, ehemalige Ministranten, hätte ich nie missen wollen. Aus meiner Sicht brauchte es aber mindestens ein Drittel Ja-Stimmen, um den Bundesrat die Einwanderung bremsen zu lassen. Die überraschende Ja-Mehrheit in den katholischen Kantonen war volkskundlich ein Indiz, dass es um eidgenössische Identität ging, kaum Italienerhass. Als Volkskundler befasste ich mich damals mit Sardinien. Eine Exkursion mit Professor Niederer beschäftigte sich mit Alternativen zum «Proletarierimport».
Schwarzenbachs Republikaner, die Sie im Aargau mitaufgebaut hatten, hatten nicht lange Bestand. Woran ist Schwarzenbach schliesslich gescheitert?
Dies habe ich 1973 in einer vierzehnseitigen, auch in der politischen Literatur zitierten Studie dargestellt (siehe hier). Einerseits war Schwarzenbach, was auch sein Sekretär Ulrich Schlüer merkte, als Parteiführer total ungeeignet, eine undemokratische Persönlichkeit. Andererseits wurde er Gefangener des Anti-Überfremdungslagers. Für das Konglomerat eines «nationalistisch verschmutzten Patriotismus» sah ich das Verschwinden bis spätestens 1983 voraus, was prompt zutraf.
Sie haben sich nach wenigen Jahren von Schwarzenbach abgewandt, weil, wie Sie sagten, er unter anderem antisemitische Tendenzen gezeigt habe. Worin äusserten sich diese?
In Schwarzenbachs Vorstand wurde man nicht durch eine Delegiertenversammlung gewählt, sondern mehr oder weniger berufen. Die Rechtspartei hatte personelle Probleme, wie später zum Teil die SVP. Zur Aufbesserung schlug ich ihm zwei junge Intellektuelle vor, zum Katholizismus konvertierte Juden. Seinen Widerwillen dagegen drückte er spontan und erschreckend aus. Immerhin darf er nicht auf einen «Fröntler» reduziert werden. Von dieser Bewegung hat er sich, wie Germanist Staiger und Verleger Wanner, spätestens 1934 getrennt.
Seit 1970 sind mehrere Überfremdungsinitiativen an der Urne gescheitert. Erst im Februar 2014 wurde eine Initiative mit ähnlicher Stossrichtung, die Masseneinwanderungs-Initiative der SVP, angenommen. Was ist 2014 anders als 1970?
Weder die Masseneinwanderungsinitiative noch «Ecopop» sind im früheren Sinn Überfremdungsinitiativen, weil niemand, der legal da ist, die Schweiz verlassen müsste. Psychologisch aber ist die Situation vergleichbar. Auch spielte, nicht bei Schwarzenbach, aber bei Oehen, demografisch-ökologische Agitation eine Rolle. Die von Kneschaurek 1970 vorausgesagte Zehnmillionen-Schweiz, damalige Horrorvision, wird heute von Planern offen befürwortet, sogar eine Elfmillionenschweiz. So hat man die Leute ins Ja-Lager getrieben.
Schwarzenbach war der Anführer der damaligen Überfremdungsgegner, ihm folgte später Christoph Blocher als Lenker der SVP. Inwiefern lassen sich die beiden Politiker vergleichen?
Beide hatten beziehungsweise haben ein umstrittenes Charisma, lasen historische Bücher und hassten Zürichs Establishment. Schwarzenbach war Grossbürger, schwärmte wie Cousine Annemarie für Diktatoren. Wer (wie Schwarzenbach) sagte «In Spanien wäre ich Faschist», war auch in der Schweiz mindestens ein halber. Demgegenüber lässt sich Blocher auch von der eigenen Partei mal in die Minderheit versetzen. Schwarzenbach war ein rechtskatholischer Schöngeist, der sich in die Politik verirrt hat. Nachhaltiger als dieser hat Protestant Blocher die Schweiz verändert. Die Kritik an der EU muss auch ohne ihn, ohne sein Geld und nach ihm ausgetragen werden.
Buchempfehlungen
«Kampf gegen unerwünschte Fremde – Von James Schwarzenbach bis Christoph Blocher»
Von Thomas Buomberger, Orell Füssli-Verlag
Akribisch und spannend zieht der promovierte Historiker und Journalist Thomas Buomberger einen Bogen von Schwarzenbach bis Blocher. Er schildert, wie in den sechziger Jahren die Ausländer in der Schweiz zum politischen Streitthema geworden sind – und es bis heute geblieben sind. Wie James Schwarzenbach als Vater der ersten Überfremdungsinitiative die Ausländerfeindlichkeit entfachte und für seine politischen Ziele nutzte.
Historiker Thomas Buomberger hat auch am «DOK»-Film «Gegen das Fremde – Der lange Schatten des James Schwarzenbach» mitgearbeitet.
«Ich Bruder Klaus von Flüe»
Von Pirmin Meier, Unionsverlag
Der Schweizer Nationalheilige Niklaus von Flüe war der bevorzugte Heilige von James Schwarzenbach, der am Tag vor der Abstimmung über seine Überfremdungsinitiative nach Flüeli Ranft zu Bruder Klaus pilgerte. Auch Christoph Blocher verehrt den Obwaldner Eremiten. Wer war dieser Mann, dessen Visionen im 15. Jahrhundert weit nach Europa ausstrahlten und der heute wieder Politiker beflügelt? Die üppige Biografie von Pirmin Meier liefert Antworten auf diese Frage – und bietet ein reichhaltiges, faszinierende Panorama jener Zeit. Geschichte als Lesevergnügen, geboten von einem erzählstarken Historiker und präzisen Schriftsteller.
«Va’ Pensiero – Geschichte eines Fremdarbeiters aus Ligurien»
Von Sergio Giovannelli-Blocher, Verlag edition 8
Die Geschichte von Sergio Giovannelli steht für ähnliche Schicksale Zehntausender Italiener, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre ruinierte Heimat verlassen hatten, um in der Schweiz eine Arbeit und vielleicht auch eine bessere Zukunft zu finden.
Ein schnörkelloser, authentischer, bewegender Lebensbericht, der fast Vergessenes wieder vor Augen führt: Wie es vor 40 Jahren die Italiener waren, die in der Schweiz Ablehnung erfahren mussten – ehe sie von Immigranten anderer Nationalitäten in dieser Rolle abgelöst worden sind.