Sonnenstrahlen schimmern und funkeln blendend durch das grüne Dickicht, verschiedene Vogelstimmen vermischen sich mit dem Blätterrauschen im Wind, es riecht holzig, herb und frisch – wie ein Auerbach-Salto in die Natur, ein komplettes Eintauchen in das Dickicht: willkommen beim Waldbaden in Uitikon Waldegg, Zürich.
Waldbaden ist in den 1980er-Jahren in Japan entstanden. In vielen Ländern, darunter Deutschland, Österreich und die Schweiz, wird Waldbaden als ganzheitliche Methode zur Stressreduktion und Gesundheitsförderung angeboten.
Der Wald tut uns gut
Saubere Luft, anregende Duftstoffe, angenehmes Klima, Naturgeräusche, gedämpftes Licht: Der Wald hat zahlreiche positive Auswirkungen auf unser Wohlbefinden. Ein Waldbesuch wirkt beruhigend auf unser Nervensystem und hilft, Stress zu reduzieren. Für Menschen mit einem hektischen Alltag ist der Wald ein wohltuender Kontrast.
Der Wald hat einen positiven Effekt auf unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit.
Zahlreiche Studien, vorwiegend aus dem asiatischen Raum, attestieren dem Wald eine gesundheitsfördernde Wirkung. Ist demnach die Wirkung des Waldbadens wissenschaftlich belegt? Martina Föhn von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) beschäftigt sich mit der Forschung und Ausbildung zum Thema Waldbaden. «Dass der Wald einen positiven Effekt auf unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit hat, steht ausser Frage.»
Einige der «Waldbaden-Studien» würden aber auch von diversen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen kritisiert, sagt Martina Föhn von der ZHAW. «Teilweise entspricht die Methodik nicht mehr heutigen Standards», so Föhn.
Beispielsweise seien manche Studien nicht im Wald, sondern in geschlossenen Räumen mit Duftproben durchgeführt worden. Ausserdem seien bei manchen Studien deutlich zu wenig Menschen befragt worden, um aussagekräftige Resultate zu erhalten.
Offene Fragen beim Schweizer Wald
Und ob die Erkenntnisse aus Japan auf die Schweiz übertragbar sind, ist laut Martina Föhn fraglich: «Die japanischen Wälder sind nicht mit dem Schweizer Wald vergleichbar.» Inwiefern die Schweizer Bäume, zum Beispiel in Bezug auf Duftstoffe, ihre Wirkung erzeugen, müsse erst noch erforscht werden, so Föhn.
Unterdessen ist die Gruppe beim Waldbaden in Uitikon Waldegg kaum vorwärtsgekommen. Waldbaden braucht Zeit. Der Gang der Teilnehmerinnen scheint bedächtig und kommt eher einem Schlendern, wenn nicht sogar Wandeln, nahe.
Neben der Langsamkeit fällt auf, dass die Frauen die Umgebung intensiv wahrnehmen. Ihre Blicke schweifen durch die Gegend, dem Boden entlang, in die Ferne, in die Höhe. Blätter werden berührt, gestreichelt oder dann auch mal in den Mund gesteckt.
Beim Waldbaden probieren wir, nebst dem Sehen auch mal die anderen Sinne mit einzubeziehen.
Angeführt wird die Gruppe von Tanja Flütsch, Naturcoach und Waldbaden-Gruppenleiterin aus Zürich, die sich in den letzten zehn Jahren im Coaching-Bereich weitergebildet hat.
Derzeit absolviert sie eine Ausbildung zur zertifizierten Shinrin-Yoku-Gesundheitstrainerin und erklärt: «Teil des Erlebnisses ist es, mal bewusst an etwas zu riechen, die Natur anzufassen oder auch in sich hineinzuspüren, wie man sich fühlt. Im Alltag dominiert der Sehsinn. Beim Waldbaden probieren wir, auch mal die anderen Sinne mit einzubeziehen.»
Dank Corona nicht mehr in der Eso-Ecke
Waldbaden wurde in der Schweiz lange belächelt oder als esoterischer Humbug abgetan. Das hat auch Nadine Gäschlin gespürt. Sie ist Gründerin der Waldbaden-Akademie Schweiz und Präsidentin des Shinrin-Yoku-Dachverbands in der Schweiz.
Anfangs waren viele skeptisch.
«Als ich 2018 anfing, mich im Bereich Waldbaden weiterzubilden, waren viele skeptisch.» Während Corona seien viele wieder vermehrt im Wald unterwegs gewesen und hätten sich auch mit Gesundheitsthemen beschäftigt, so Gäschlin.
Durch die Corona-Krise veränderte sich auch die Art und Weise, wie die Schweizer Bevölkerung den Wald nutzte. Das ergaben Befragungen der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft.
Vor der Pandemie lag der Fokus bei Waldbesuchen vorwiegend auf sozialen oder sportlichen Aktivitäten: Picknick mit Freunden und Familie oder Mountainbiken. Während Corona wurde dann der Wald vermehrt zur Förderung der physischen und psychischen Gesundheit besucht.
Unterdessen hat Nadine Gäschlin in ihrer Waldbaden-Akademie über 20 Ausbildungsgänge mit mehr als 240 Teilnehmenden durchgeführt.
Ein stetig wachsender Anteil der Absolventinnen und Absolventen komme aus dem therapeutischen Bereich. Gäschlin selbst unterstützt seit anderthalb Jahren Patientinnen und Patienten einer psychiatrischen Klinik mit Waldbaden. «Wir fördern damit das Selbstmanagement und die Selbstregulationskompetenzen.»
Der Wald tut uns also zweifellos gut. Aber kann ich denn nicht einfach auch im Wald spazieren oder wandern gehen?
«Durch die angeleiteten Achtsamkeitsübungen verstärkt sich die Präsenz im Hier und Jetzt und die Distanz zum oft stressigen Alltag. Dadurch können wir Körper und Geist besser entspannen und die positive Wirkung des Waldes ist stärker», sagt Nadine Gäschlin.
Martina Föhn von der ZHAW ergänzt, dass durch die bisherigen Studien meist nicht erforscht wurde, ob beim Waldbaden die Achtsamkeitsübungen oder die Umgebung wirksamer ist. «Wahrscheinlich ist es die Kombination, die es ausmacht», so Föhn.